Das Überschreiten der Vertretungsmacht ist vom Missbrauch der Vertretungsmacht abzugrenzen.
Überschreitet ein Vertreter seine Vertretungsmacht, greift § 164 I 1 BGB ("innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht") nicht ein. Sein Verhalten entfaltet keine Wirkung für den Vertretenen. Der Vertreter handelt insoweit als Vertreter ohne Vertretungsmacht.
Beim Missbrauch der Vertretungsmacht hat der Vertreter hingegen für das getätigte Geschäft Vertretungsmacht. Er handelt im Rahmen seiner Vertretungsmacht (rechtliches Können), überschreitet jedoch seine Befugnisse aus dem Innenverhältnis (rechtliches Dürfen).
Merke
Missbrauchen kann man nur eine Rechtsposition, die man hat.

Folgender Beispielsfall führt dir die Situation gut vor Augen:
Beispiel
Fall
Prokurist P schließt namens des K mit V einen Kaufvertrag über die Lieferung von Waren zum Preis von 100.000 €, obwohl ihm der Abschluss von Verträgen nur bis zum Betrag von 10.000 € erlaubt ist.
Variante 1
V wusste nichts von der Begrenzung der Geschäftsführungsbefugnis des P.
Variante 2
V wusste hiervon oder es war evident.
Variante 3
V hat mit dem P regelrecht zusammengespielt, um dem K zu schaden.
Kann V von K Abnahme und Bezahlung der Waren verlangen?
Kann K von P Schadensersatz verlangen?
Lösung
Die Anspruchsgrundlage für die Abnahme und Bezahlung der Waren stellt ein Kaufvertrag gemäß § 433 II BGB dar. Der Anspruch setzt voraus, dass ein wirksamer Kaufvertrag zwischen K und V besteht. Da K nicht selbst gehandelt hat, stellt sich die Frage, ob er gemäß § 164 I 1 BGB wirksam durch P vertreten wurde.
Grundsätzlich trägt das Risiko des Missbrauchs abgeleiteter Rechtsmacht derjenige, der sie erteilt hat. Die Prokura verleiht dem Prokuristen nach §§ 49 I, 50 HGB eine unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht für Mobiliargeschäfte.
Variante 1
Da P innerhalb seiner Vertretungsmacht gehandelt hat, wirkt seine Willenserklärung gemäß § 164 I 1 BGB für und gegen K. Es ist ein wirksamer Kaufvertrag zwischen V und K zustande gekommen. V kann von K gemäß § 433 II BGB Abnahme und Zahlung verlangen.
Außerdem hat K gegen P einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 ff. BGB wegen Schlechterfüllung des Arbeitsvertrags.
Variante 2
Weiß der Geschäftspartner von dem Missbrauch der Vertretungsmacht oder ist dieser evident, handelt der Vertreter ausnahmsweise ohne Vertretungsmacht, soweit ihm die Geschäftsführungsbefugnis fehlt. Die Abstraktheit der Vertretungsmacht von der Geschäftsführungsbefugnis dient dem Schutz des Rechtsverkehrs. Sie muss weichen, wenn der Vertragspartner nicht schutzwürdig ist.
Die Kenntnis des V von der fehlenden Vertretungsmacht beziehungsweise deren Evidenz führt dazu, dass der Kaufvertrag gemäß § 177 I BGB analog schwebend unwirksam ist. K kann ihn genehmigen.
Variante 3
Arbeiten Vertreter und Geschäftspartner bewusst zum Nachteil des Vertretenen zusammen, liegt eine Kollusion vor. Der Kaufvertrag ist dann gemäß § 138 I BGB nichtig.
Gegen den Vertreter kommen Ansprüche aus § 823 II BGB in Verbindung mit § 266 StGB und § 826 BGB in Betracht.