I. Einleitung
Obwohl sie nicht im klassischen Grundrechtskatalog der Artikel 1 bis 19 GG verortet sind, genießen die sogenannten grundrechtsgleichen Rechte dennoch den gleichen Status wie die Grundrechte selbst. Diese Rechte sind in anderen Abschnitten des GG festgeschrieben und umfassen essenzielle Garantien des Verfassungsrechts.
Sie gewährleisten individuelle Freiheiten und Rechte, die für das Funktionieren eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens unerlässlich sind und ergänzen und erweitern damit die verfassungsrechtliche Schutzordnung der Grundrechte. Zudem spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht, da auch Verletzungen dieser Rechte gerügt werden können. Grundrechtsgleiche Rechte sind keine Grundrechte im engeren Sinne, sondern verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte, die grundrechtsgleiche Funktionen haben. Sie gelten jedoch genauso wie Grundrechte und stehen unter dem Schutz des Bundesverfassungsgerichts (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 ff. BVerfGG).
Sie werden daher in der Praxis und Klausur genauso geprüft wie die Grundrechte selbst, also entlang des Schemas Schutzbereich, Eingriff und verfassungsrechtliche Rechtfertigung.
II. Die grundrechtsgleichen Rechte

Die einzelnen grundrechtsgleichen Rechte werden in Art. 93 I Nr. 4a GG im Rahmen der Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für die Verfassungsbeschwerde aufgezählt.
Zitat
Art. 93 I Nr. 4a GG:
„über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;“
1. Art. 20 IV GG - Recht auf Widerstand
Art. 20 IV GG gewährt allen Deutschen das Recht, gegen jeden Widerstand zu leisten, der es unternimmt, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen, sofern andere Abhilfe nicht möglich ist. Dieses Recht stellt eine ultima ratio dar und ist Ausdruck der wehrhaften Demokratie. Es legitimiert damit Bürgerinnen und Bürger zum aktiven Widerstand, wenn die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Gefahr ist und staatliche Organe nicht mehr in der Lage oder willens sind, diese zu schützen. Wichtig ist, dass es sich um ein Abwehrrecht gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen handelt, kein individuelles Angriffsrecht
2. Art. 33 II-V GG - Gleichheit im öffentlichen Dienst
Art. 33 GG regelt die Gleichheit im öffentlichen Dienst und enthält mehrere grundrechtsgleiche Rechte:
a) Art. 33 II GG
Art. 33 II GG regelt den Zugang zu öffentlichen Ämtern nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Dieses Leistungsprinzip garantiert Chancengleichheit und verhindert Diskriminierung bei der Vergabe von öffentlichen Stellen.
b) Art. 33 III GG
Art. 33 III GG stellt das Verbot der Benachteiligung oder Bevorzugung im öffentlichen Dienst und bezüglich des Genusses bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte aufgrund religiöser oder weltanschaulicher Anschauungen auf. Dies sichert die Neutralität des Staates und schützt die individuelle Glaubensfreiheit.
c) Art. 33 IV GG
Art. 33 IV GG legt fest, dass die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes übertragen wird, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.
d) Art. 33 V GG
Art. 33 V GG enthält die Garantie des hergebrachten Berufsbeamtentums und dessen Weiterentwicklung. Hierdurch werden traditionelle Grundsätze des Beamtentums geschützt, wie etwa die Lebenszeitstellung und die Pflicht zur politischen Neutralität.
3. Art. 38 I 1 GG - Wahlrechtsgrundsätze
Art. 38 I 2 GG stellt die Wahlrechtsgrundsätze für die Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestags auf. Demnach werden die Abgeordneten in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.
Eine ausführliche Darstellung findest du in diesem Artikel.
4. Art. 101 I 2 GG - Recht auf den gesetzlichen Richter
Art. 101 I 2 GG garantiert, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf. Dies bedeutet, dass die Zuständigkeit der Gerichte und Richter gesetzlich festgelegt sein muss und nicht willkürlich geändert werden darf.
Explizit stellt Art. 101 I 2 GG folgende Garantien auf:
Ein Gericht ist die einzige Institution, die eine Entscheidung fällen kann
Das Gericht muss dem Gesetz nach zuständig sein und der Richter der Geschäftsverteilung nach
Die Richter müssen persönlich und sachlich unabhängig sein
Eine Verletzung, also ein Entzug, liegt nur vor, wenn gesetzliche Regelungen oder der Geschäftsverteilungsplan fehlerhaft sind oder bei objektiv willkürlichem Handeln.
Merke
Art. 101 I 2 GG schützt nur vor willkürlichem Handeln, nicht vor irrtümlichem Handeln.
5. Art. 103 GG - Justizgrundrechte
Die Justizgrundrechte aus Art. 103 GG spielen eine zentrale Rolle für die Sicherstellung eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens und für den Schutz des Einzelnen vor staatlicher Willkür. Ihre Bedeutung ergibt sich aus ihrem Ziel, die Verfahrensgerechtigkeit und den Grundsatz der Rechtssicherheit zu gewährleisten. Sie sichern fundamentale Rechte im Rahmen der gerichtlichen und strafrechtlichen Verfahren. Diese sind im Einzelnen:
a) Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 I GG
Jeder hat in gerichtlichen Verfahren Anspruch darauf, gehört zu werden. Dies umfasst das Recht, sich zu äußern und Beweisanträge zu stellen.
b) Keine Strafe ohne Gesetz, Art. 103 II GG
Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Dieses Prinzip schützt vor rückwirkender Strafgesetzgebung (nulla poena sine lege).
c) Verbot der Mehrfachbestrafung, Art. 103 III GG
Art. 103 III GG stellt das Verbot der Mehrfachbestrafung (ne bis in idem) auf.
6. Art. 104 GG - Rechte bei Freiheitsentziehung
Art. 104 GG regelt die Voraussetzungen und Verfahren bei Freiheitsentziehungen.
Art. 104 I GG: Die Freiheit der Person darf nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden.
Art. 104 II GG: Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung darf nur der Richter entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen.
Art. 104 III GG: Jeder wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen. Der Richter hat ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.
Art. 104 IV GG: Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.
Art. 104 GG kommt damit eine hohe Bedeutung bei der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 2 II 2 GG zu.