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Strafrecht

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Grundlagen

Grundlagen zum Strafrecht

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Erfolgsdelikte
Tätigkeitsdelikte
Begehungsdelikte
Unterlassungsdelikte
Tatbestand
Rechtswidrigkeit
Rechtfertigungsgründe
Bestimmtheitsgebot
Rückwirkungsverbot
Verbrechen
Schuld
Vergehen
Tatbeteiligung
Täterschaft
Anstiftung
Prüfung
Beihilfe
Strafrahmen
Rücktritt
Art. 103 GG
§ 14 StGB
§ 22 StGB
§ 31 StGB
§ 90a StGB
§ 250 StGB
§ 253 StGB
§ 263 StGB
§ 1 StGB
§ 8 StGB
§ 11 StGB
§ 15 StGB
§ 16 StGB
§ 17 StGB
§ 18 StGB
§ 20 StGB
§ 21 StGB
§ 23 StGB
§ 26 StGB
§ 32 StGB
§ 25 StGB
§ 27 StGB
§ 34 StGB
§ 49 StGB
§ 24 StGB
§ 35 StGB
§ 240 StGB
§ 222 StGB
§ 323c StGB
§ 229 StGB
§ 33 StGB
§ 239 StGB
§ 316 StGB
§ 30 StGB
§ 212 StGB
§ 138 StGB
§ 323a StGB
§ 249 StGB
§ 251 StGB
§ 303 StGB
§ 255 StGB
Gliederung
  • I. Keine Strafe ohne Gesetz

    • 1. Bestimmtheitsgebot

    • 2. Rückwirkungsverbot

    • 3. Verbot der täterbelastenden Analogie

  • II. Deliktsarten

    • 1. Vergehen und Verbrechen

    • 2. Erfolgsdelikte und Tätigkeitsdelikte

    • 3. Begehungsdelikte und Unterlassungsdelikte

    • 4. Vorsatzdelikte und Fahrlässigkeitsdelikten

  • III. Prüfungsaufbau

    • 1. Objektiver Tatbestand

      • a) Handlung im strafrechtlichen Sinne

      • b) Tatbestandsmäßiger Erfolg

      • c) Kausalität und Objektive Zurechnung

    • 2. Subjektiver Tatbestand

    • 3. Rechtswidrigkeit

      • a) Rechtfertigungsgründe

      • b) Besonderheiten bei Grundrechten

    • 4. Schuld

      • a) Schuldfähigkeit

      • b) Entschuldigungsgründe

      • c) Unrechtsbewusstsein

  • IV. Methodik

    • 1. Sachverhaltsanalyse:

    • 2. Gutachtenstil:

    • 3. Tatbestandsprüfung:

    • 4. Besondere Problemstellungen:

    • 5. Arbeiten mit Grundsatz und Ausnahme:

    • 6. Auslegungsmethoden:

    • 7. Aufbau und Struktur:

    • 8. Modulares Arbeiten

    • 9. Zeitmanagement:

Dieser Artikel gibt einen grundlegenden Überblick über das Strafrecht und die Systematik des StGB. Ganz besonders im Strafrecht empfiehlt es sich, die Systematik von Anfang an in den Blick zu nehmen. Das Strafrecht zeichnet sich wie kein anderes Rechtsgebiet durch eine besonders stringente und logisch aufgebaute Struktur aus, bei der die verschiedenen Elemente eng miteinander verzahnt sind. Viele Fragen stellen sich erst gar nicht, wenn die grundlegenden Prinzipien des Strafrechts verstanden werden. Diese Grundlagen bilden das Fundament, auf dem das weitere Verständnis des Strafrechts modular und systematisch aufgebaut wird. Daher bietet sich der nachfolgende Grundlagenartikel als erster Einstieg in das Strafrecht an.

I. Keine Strafe ohne Gesetz

Der in § 1 StGB und Art. 103 II GG verankerte Grundsatz „nullum crimen sine lege“ besagt, dass eine Handlung nur dann bestraft werden kann, wenn sie vor ihrer Begehung gesetzlich als strafbar festgelegt wurde. Dieses Prinzip stellt sicher, dass Strafbarkeit auf klare und vorhersehbare Weise geregelt ist und niemand willkürlich für Handlungen bestraft wird, die zum Zeitpunkt ihrer Ausführung nicht verboten waren.

Der Grundsatz wird durch drei zentrale Prinzipien konkretisiert: das Bestimmtheitsgebot, das Rückwirkungsverbot und das Verbot der täterbelastenden Analogie.

1. Bestimmtheitsgebot

Nach dem Bestimmtheitsgebot muss eine Strafnorm so klar und präzise formuliert sein, dass der Bürger erkennen kann, welches Verhalten strafbar ist. Dieses Gebot soll verhindern, dass unklare oder zu weit gefasste Gesetze zu einer unvorhersehbaren Strafbarkeit führen.

2. Rückwirkungsverbot

Das Rückwirkungsverbot bedeutet, dass eine strafrechtliche Vorschrift nicht rückwirkend auf Taten angewendet werden darf, die vor ihrer gesetzlichen Verankerung begangen wurden. Es stellt sicher, dass niemand für eine Handlung bestraft wird, die zum Zeitpunkt der Tat legal war.

3. Verbot der täterbelastenden Analogie

Nach diesem Verbot darf eine Strafnorm nicht analog – also durch erweiterte Auslegung – zum Nachteil des Täters angewendet werden. Das bedeutet, dass eine strafbare Handlung nur auf Basis eines klaren Gesetzes geahndet werden kann, und nicht aufgrund einer Analogie, die das Gesetz ausdehnt.

Diese Prinzipien garantieren, dass das Strafrecht vorhersehbar, klar und gerecht angewendet wird und schützen den Bürger vor willkürlicher oder unvorhersehbarer Strafverfolgung.

II. Deliktsarten

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1. Vergehen und Verbrechen

Von besonderer Relevanz ist die Differenzierung zwischen Vergehen und Verbrechen:

  • Verbrechen sind gemäß § 12 I StGB rechtswidrige Taten, die mindestens mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr bedroht sind.

  • Gemäß § 12 II StGB sind Vergehen alle Taten, die mit geringerer Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedroht sind.

Die Unterscheidung ist vor allem im Rahmen des Versuchs relevant, der nur bei Verbrechen oder ausdrücklicher Anordnung bestraft wird. Gleiches gilt für die Strafbarkeit nach § 30 StGB.

2. Erfolgsdelikte und Tätigkeitsdelikte

Der Besondere Teil des StGB unterscheidet zwischen Erfolgsdelikten und Tätigkeitsdelikten.

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Bei den Erfolgsdelikten muss ein tatbestandlicher Erfolg eingetreten sein, der durch die Kausalität und objektive Zurechnung der täterschaftlichen Handlung zugerechnet wird. Der tatbestandliche Erfolg kann dabei ein final erreichter Zustand sein (Tod des Opfers, § 212 I StGB) oder im Fall der sogenannten Dauerdelikte, eine andauernde rechtswidrigen Situation (Freiheitsberaubung, § 239 StGB). Weiter wird zwischen verhaltensneutralen Erfolgsdelikten und verhaltensgebundenen Erfolgsdelikten unterschieden.

  • Verhaltensneutrale Erfolgsdelikte geben keine konkrete tatbestandsmäßige Handlung vor, vielmehr muss nur eine Handlung im strafrechtlichen Sinne vorliegen und der tatbestandliche Erfolg eingetreten sein.

Beispiel

§ 212 I StGB etwa setzt lediglich den Tod eines Menschen voraus, der durch eine Handlung im strafrechtlichen Sinne kausal und objektiv zurechenbar verursacht worden sein muss.

  • Eine Strafbarkeit durch die Verwirklichung eines verhaltensgebundenen Erfolgsdelikts hingegen setzt voraus, dass der Erfolg durch eine tatbestandlich vorgegebene Handlung eingetreten sein muss.

Beispiel

§ 240 I StGB setzt voraus, dass eine Handlung, Duldung oder Unterlassung auf der Opferseite durch den Täter erwirkt worden sein muss. Dieses Opferverhalten muss der Täter jedoch durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel und nicht lediglich durch eine Handlung im strafrechtlichen Sinne erreicht haben.

  • Zu den Erfolgsdelikten zählen zudem die konkreten Gefährdungsdelikte. Hier liegt der tatbestandliche Erfolg nicht in einer finalen Rechtsgutsverletzung, sondern einer konkreten Gefährdungslage.

Beispiel

§ 315c StGB setzt (nur) voraus, dass eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder eine Sache von bedeutendem Wert eingetreten sein muss. Eine tatsächliche Gesundheitsschädigung muss nicht vorliegen. Diese konkrete Gefahr wird als “Beinahe-Unfall” beschrieben; es war also dem Zufall überlassen, ob die Rechtsgutsverletzung eintritt.

Abzugrenzen von den Erfolgsdelikten sind die reinen Tätigkeitsdelikte. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass bereits eine tatbestandlich konkret vorgegebene Handlung zur Strafbarkeit führt. Ein Erfolg im Sinne einer konkreten Gefährdung oder einer finalen Rechtsgutsverletzung muss nicht eingetreten sein. Tätigkeitsdelikte werden auch als abstrakte Gefährdungsdelikte bezeichnet. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die tatbestandliche Handlung für eine Strafbarkeit ausreicht, weil gewichtige Rechtsgüter geschützt werden müssen.

Beispiel

§ 153 StGB stellt die Falschaussage unter Strafe. Nicht von Belang ist, ob das Gericht tatsächlich hinters Licht geführt wurde. Ob der vom Täter beabsichtigte Erfolg der Falschaussage eingetreten ist, ist mithin irrelevant. Ähnliches gilt im Rahmen der Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 StGB. Der Eintritt einer konkreten Gefährdungslage wie in § 315c StGB oder einer Rechtsgutsverletzung ist tatbestandlich nicht vorgegeben. Es genügt das reine Führen eines Fahrzeugs.

3. Begehungsdelikte und Unterlassungsdelikte

Grundsätzlich geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Tatbestände des StGB durch aktives Tun verwirklicht werden; sie werden daher als Begehungsdelikte bezeichnet. Im Falle der bereits erläuterten Erfolgsdelikte ist gemäß § 13 I StGB zusätzlich eine Strafbarkeit durch Unterlassen angeordnet.

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  • Unechtes Unterlassungsdelikt: Insofern der Erfolg durch die Nichtvornahme einer gebotenen Handlung eintritt, ist unter den Voraussetzungen des § 12 StGB eine Strafbarkeit durch Unterlassen möglich. Man spricht insoweit von unechten Unterlassungsdelikten.

Beispiel

Totschlag (§ 212 I StGB) kombiniert mit den Voraussetzungen des § 13 StGB

  • Echtes Unterlassungsdelikt: Wird das Unterlassen explizit tatbestandlich aufgenommen und unter Strafe gestellt, spricht man von echten Unterlassungsdelikten.

Beispiel

Beispiele für echte Unterlassungsdelikte sind die unterlassene Hilfeleistung, gemäß § 323c StGB, die Nichtanzeige geplanter Straftaten gemäß § 138 StGB und das unerlaubte Entfernen vom Unfallort gemäß § 142 II StGB.

4. Vorsatzdelikte und Fahrlässigkeitsdelikten

Der Gesetzgeber geht im Grundsatz außerdem von einem Vorsatzdelikt aus. In § 15 StGB normiert der Gesetzgeber, dass grundsätzlich nur vorsätzliches Handeln bestraft werden kann. Ausnahmsweise ist jedoch auch fahrlässiges Handeln strafbar, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorschreibt.

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Das Fahrlässigkeitsdelikt wird in diesem Artikel gesondert behandelt.

Beispiel

§ 222 StGB stellt etwa die fahrlässige Tötung eines anderen Menschen unter Strafe. § 229 StGB die fahrlässige Körperverletzung. Eine fahrlässige Sachbeschädigung ist hingegen nicht normiert, sodass der Geschädigte nur über das Zivilrecht geschützt ist.

Fahrlässigkeitskomponenten sind auch im Rahmen der Erfolgsqualifikationen vorhanden. Bei den Erfolgsqualifikationen handelt es sich um sogenannte Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen, die eine Strafschärfung zur Folge haben. Dabei muss eine schwere Folge, die durch die vorsätzliche Verwirklichung des Grunddelikts hervorgerufen wird, mindestens fahrlässig verursacht werden. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Erfolgsqualifikation.

III. Prüfungsaufbau

Im Strafrecht ist eine strikte Prüfung nach festgelegten Schemata von besonderer Bedeutung. Anders als in anderen Rechtsgebieten existieren im Allgemeinen Teil (AT) des Strafrechts klar definierte Schemata für die unterschiedlichen Deliktsarten. Beim Regelfall des vorsätzlichen vollendeten Begehungsdelikts empfiehlt sich ein Prüfungsaufbau, der in die drei Hauptkategorien Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld gegliedert ist. Der Tatbestand selbst sollte dabei zweigliedrig strukturiert werden, indem zwischen dem objektiven und dem subjektiven Tatbestand unterschieden wird. Diese klare Struktur hilft, eine systematische und vollständige Prüfung des jeweiligen Delikts sicherzustellen.

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1. Objektiver Tatbestand

Im objektiven Tatbestand werden die gesetzlich festgelegten Tatbestandsmerkmale einer Straftat geprüft. Dabei ist es unerlässlich, dass der Prüfer über eine fundierte Definitionskenntnis verfügt und eine präzise Subsumtion vornimmt. Es ist zu beachten, dass die Tatbestandsmerkmale des jeweiligen Delikts (z. B. die „körperliche Misshandlung“ bei § 223 I StGB) durch die Erfordernisse der Kausalität und der objektiven Zurechnung ergänzt werden, sofern die Norm den Eintritt eines konkreten Erfolgs voraussetzt.

Merke

Das heißt, dass die Kausalität und die objektive Zurechnung nur bei Erfolgsdelikten geprüft werden müssen.

a) Handlung im strafrechtlichen Sinne

Definition

Handlung

Die Handlung, an die das jeweilige Delikt anknüpft, muss ein menschliches und durch den Willen steuerbares Verhalten sein, das nach außen in Erscheinung tritt.

Eine juristische Person kann folglich keine strafrechtliche Handlung begehen, zu beachten ist jedoch § 14 StGB.

Problem

Abgrenzung Reflex / Automatismus

Regelmäßig problematisch in Examensklausuren ist die Abgrenzung von einem Reflex zu einem Automatismus.

Diese Frage stellt sich immer dann, wenn im Sachverhalt von einem Kampfsportler oder Profiboxer die Rede ist, der reflexartig zum Gegenschlag ausholt. Weil ein Reflex keinem psychologischen Mitwirkungsprozess unterliegt, mithin nicht willentlich ausgeführt oder verhindert werden kann, liegt keine strafrechtliche Handlung vor.

Ein Automatismus hingegen, mag er noch so sehr durch wiederholtes Training automatisch ausgeführt werden, unterliegt einem bewussten psychologischen Mitwirkungsprozess. Die Abwehrbewegung oder der blitzartige Gegenschlag eines Kampfsportlers stellt daher regelmäßig eine Handlung im strafrechtlichen Sinne dar.

Die Zeit der Tat ist gemäß § 8 StGB der Zeitpunkt, in welchem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen. Wichtig ist dabei, dass der Zeitpunkt, in dem der tatbestandsmäßige Erfolg eintritt, für die Zeit der Tat unerheblich ist.

Beispiel

Es ist also irrelevant, dass das Opfer eines Totschlags erst 2 Wochen später im Krankenhaus an den Folgen der Attacke des Täters verstirbt.

b) Tatbestandsmäßiger Erfolg

Einen tatbestandsmäßigen Erfolg gibt es nur bei den Erfolgsdelikten. Dieser Erfolg muss für eine Strafbarkeit eingetreten sein. Ist er nicht eingetreten, kommt nur eine Strafbarkeit aus Versuch in Betracht. Der Prüfungsaufbau bei reinen Tätigkeitsdelikten und beim Versuch weicht erheblich vom Prüfungsaufbau des hier dargestellten Regelfalls des vorsätzlich vollendeten Begehungsdelikts ab.

c) Kausalität und Objektive Zurechnung

Die Prüfung der Kausalität im Sinne der conditio sine qua non - Formel stellt sicher, dass die Handlung des Täters den strafrechtlich normierten tatbestandlichen Erfolg auch tatsächlich herbeigeführt hat. Die objektive Zurechnung schränkt die Äquivalenztheorie in Form der sine qua non - Formel wieder ein, um ein übermäßiges Ausufern der Äquivalenz zu verhindern.

2. Subjektiver Tatbestand

Der subjektive Tatbestand bezieht sich stets auf den objektiven Tatbestand. Hier muss festgestellt werden, ob der Täter hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale vorsätzlich gehandelt hat. Wichtig ist hier die Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit, die bei der Feststellung des bedingten Vorsatzes notwendig ist. Im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte gibt es den subjektiven Tatbestand im klassischen Sinne nicht. Stattdessen wird hier auf Schuldebene geprüft, ob der tatbestandliche Erfolg für den Täter auch subjektiv pflichtwidrig und vorhersehbar war.

3. Rechtswidrigkeit

Damit der Täter tatsächlich für seine Handlung bestraft werden kann, darf diese nicht im Einklang mit der objektiven Rechtsordnung stehen. Erst, wenn die Handlung des Täters als Ganzes im Widerspruch zur Rechtsordnung steht (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB), ist die Tat als rechtswidrig einzustufen.  Das Gesetz erlaubt in bestimmten Fällen die eigentlich strafrechtlich relevante, rechtswidrige Handlung des Täters.

a) Rechtfertigungsgründe

Allem voran sind hier die Rechtfertigungsgründe relevant, die bei Vorliegen die Rechtswidrigkeit entfallen lassen. Hier sind vor allem die Notwehr, der rechtfertigende Notstand, die BGB-Rechtfertigungsgründe, das StPO-Festnahmerecht und die Einwilligung zu nennen.

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b) Besonderheiten bei Grundrechten

Eine Besonderheit ergibt sich bei der Betroffenheit von Grundrechten. Ist die Handlung des Täters grundrechtlich geschützt, kann es erforderlich sein, im Rahmen der Rechtswidrigkeitsprüfung eine Abwägung der betroffenen Grundrechte im Einzelfall am Maßstab der VHMK vorzunehmen. Das ist der Fall, wenn die der Strafnorm entgegenstehenden Grundrechte des Täters schwerer wiegen als solche, die die Strafnorm schützen will.

Beispiel

Insbesondere in Form der Klimaaktivisten- und Kirchenasyl-Fälle hat dieses Thema neue Aufmerksamkeit erlangt und in Examensklausuren Berücksichtigung gefunden.

Wichtig ist allerdings, dass eine gesonderte Berücksichtigung der Grundrechte auf Rechtswidrigkeitsebene nur ausnahmsweise in Betracht kommt. Tatbestandsmerkmale müssen grundsätzlich verfassungskonform ausgelegt werden. Das bedeutet, dass ein Grundrecht nur dann als eigener Rechtfertigungsgrund in Betracht kommt, wenn der Wortlaut des Tatbestandes keinen Anknüpfungspunkt für eine Berücksichtigung des betroffenen Grundrechts bietet.

Beispiel

Muss etwa bei den Klimakleber- und Sitzblockadefällen eine Nötigung gemäß § 240 I StGB geprüft werden, ist der Gewaltbegriff verfassungskonform auszulegen.  Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit müssen in der Verwerflichkeitsprüfung nach Abs. 2 berücksichtigt werden. Im Rahmen der Kirchenasyl-Fälle müssen die Gewissens- und Religionsfreiheit in der Rechtswidrigkeit geprüft und mit dem Rechtsstaatsprinzip abgewogen werden, sodass der Zustand der praktischen Konkordanz erreicht wird. Gleiches gilt etwa im Rahmen der Kraftwerkbesetzer-Fälle, in denen vor allem die Gewissensfreiheit, die Eigentums- bzw. Gewerbefreiheit und das Rechtsstaatsprinzip berücksichtigt werden müssen. Für eine detaillierte Aufarbeitung der Frage der Grundrechte als Rechtfertigungsgründe: Brand/Winter, JuS 2021, 113.

Klausurtipp

Eine Rechtfertigung durch ein entgegenstehendes Grundrecht des Täters ist nur in Ausnahmefällen anzusprechen. Typische Beispiele für solche Grundrechte sind die Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit, Religions- und Gewissensfreiheit.

4. Schuld

Der nulla poena sine culpa - Grundsatz besagt, dass nur bestraft werden kann, wer für das strafrechtlich relevante Verhalten verantwortlich ist, weil er sich nach seinen persönlichen Fähigkeiten auch rechtstreu hätte verhalten können. Die Schuldhaftigkeit eines Verhaltens ist auf drei Ebenen zu prüfen:

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a) Schuldfähigkeit

Zunächst muss die Schuldfähigkeit des Täters zum Zeitpunkt der Tat vorliegen. Dies folgt aus § 20 StGB, der vorschreibt, dass eine Schuldfähigkeit ausscheidet, sollte etwa eine krankhafte seelische Störung oder eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung bei Begehung der Tat vorliegen, die es dem Täter unmöglich macht, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Das später zu prüfende Unrechtsbewusstsein hingegen zielt darauf ab, zu klären, ob das Unrecht der Tat wegen des persönlichen Kenntnisstands und der Fähigkeiten des Täters nicht erkannt werden konnte. Folglich werden im Unrechtsbewusstsein die Irrtümer behandelt, während im Rahmen der Schuldfähigkeit Krankheiten und Intoxikationen geprüft werden.

Bei der Schuldfähigkeit ist vor allem die tiefgreifende Bewusstseinsstörung durch alkoholische Intoxikation zu nennen. Die genauen Promillegrenzen sind vor allem für die Straßenverkehrsdelikte relevant.  Hierbei sind zwei Promillegrenzen wichtig: Die 2,0‰ -Grenze beschreibt den Eintritt der verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB, bei vorsätzlichen Tötungsdelikten liegt diese bei 2,3 ‰. Die 3,0 ‰-Grenze markiert in der Regel den Eintritt der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB; bei vorsätzlichen Tötungsdelikten liegt sie höher, nämlich bei etwa 3,3 ‰. Zudem kann ab diesem Wert ein Rausch im Sinne des § 323a StGB vorliegen.

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Klausurtipp

Ist im Sachverhalt davon die Rede, dass der Täter die 3,0‰ -Grenze erreicht und alkoholbedingte Ausfallerscheinungen aufzeigt, ist von einer Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) auszugehen und der Täter kann nicht bestraft werden.

Die actio libera in causa stellt einen umfangreichen Problemkomplex dar, der in diesem Artikel behandelt wird.

b) Entschuldigungsgründe

Ebenso wie im Rahmen der Rechtswidrigkeit gibt es auch in der Schuld Gründe, die die Schuldhaftigkeit der Tat trotz bestehender Schuldfähigkeit entfallen lassen. Entschuldigungsgründe sind der entschuldigende Notstand gemäß § 35 StGB, der Notwehrexzess gemäß § 33 StGB und der übergesetzliche entschuldigende Notstand.

c) Unrechtsbewusstsein

§ 17 StGB macht deutlich, dass die Schuld auch ein Unrechtsbewusstsein voraussetzt. Das bedeutet, dass der Täter nach seinen individuellen Fähigkeiten und Kenntnissen in der Lage sein muss, zu erkennen, dass er Unrecht tut. Relevant ist der Prüfungspunkt des Unrechtsbewusstseins vor allem im Rahmen der Frage des Verbotsirrtums.

IV. Methodik

Das methodische juristische Arbeiten ist in Strafrechtsklausuren essenziell, um eine systematische und präzise Bearbeitung der rechtlichen Fragestellungen zu gewährleisten. Dabei ist ein strukturiertes Vorgehen unerlässlich:

1. Sachverhaltsanalyse:

Der erste Schritt besteht in der gründlichen Lektüre des Sachverhalts. Alle relevanten Informationen werden erfasst, sortiert und nach Beteiligten, Handlungen, Tatzeitpunkten und Tatorten sowie subjektiven Tätervorstellungen strukturiert. So gelingt es, den Sachverhalt in sinnvolle Abschnitte einzuteilen, die sich etwa an einer zeitlichen oder örtlichen Zäsur oder einer Zäsur in der Tätervorstellung orientieren. Außerdem werden wichtige Probleme und strittige Punkte identifiziert.

Klausurtipp

Markiere in deinem Sachverhalt mit unterschiedlichen Farben. Eine Farbe für Tathandlungen, eine für Taterfolge, eine für subjektive Vorstellungen und eine für sich aufdrängende Probleme.

2. Gutachtenstil:

Das Herzstück des methodischen Arbeitens bildet auch im Strafrecht der Gutachtenstil. Dieser folgt einem festen Schema: Im Obersatz wird die rechtliche Frage präzise formuliert, gefolgt von der Definition der einschlägigen Tatbestandsmerkmale. Die Subsumtion wendet diese Definitionen auf den Sachverhalt an, bevor der Ergebnissatz den Obersatz abschließend beantwortet.

3. Tatbestandsprüfung:

Die Prüfung gliedert sich in den objektiven und subjektiven Tatbestand. Es folgt die Überprüfung der Rechtswidrigkeit und schließlich der Schuld. Dabei werden mögliche Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe berücksichtigt.

4. Besondere Problemstellungen:

Wichtige Aspekte wie Teilnahmeformen (Täterschaft, Anstiftung, Beihilfe), Versuch, Irrtümer (Tatbestands- und Verbotsirrtum) und Konkurrenzen (Tateinheit, Tatmehrheit) sind gezielt zu prüfen und sauber voneinander abzugrenzen.

5. Arbeiten mit Grundsatz und Ausnahme:

Bei der Anwendung der Normen ist es entscheidend, mit Grundsatz und Ausnahmen zu arbeiten. So geht der Gesetzgeber oftmals von einem Regelfall aus (dem Grundsatz) und normiert entweder selbst Ausnahmen oder es werden Ausnahmefallgruppen durch Rechtsprechung und Literatur entwickelt. Beispiele für dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis werden dir auch immer wieder in den Constellatio-Artikeln begegnen!

6. Auslegungsmethoden:

Im Strafrecht sind die gleichen Auslegungsmethoden wie im Zivilrecht zu beachten.

  • Die Wortlautinterpretation bezieht sich auf den klaren Text des Gesetzes.

  • Systematische Auslegung betrachtet den Zusammenhang innerhalb des Gesetzeswerks, hier also dem StGB,

  • während die teleologische Auslegung den Zweck der Norm in den Vordergrund stellt.

  • Schließlich berücksichtigt die historische Auslegung die Entstehungsgeschichte und den Willen des Gesetzgebers.

Klausurtipp

Meist spielt der Wortlaut im Strafrecht die wichtigste Rolle! Wegen des strengen Bestimmtheitsgrundsatzes im Strafrecht und des Verbots der täterbelastenden Analogie, ist der Wortlaut von entscheidender Bedeutung! Daher sollte man auch bei der teleologischen Auslegung eher restriktiv sein. Eine historische Auslegung scheitert ohnehin meist an den fehlenden Informationen in der Klausursituation.

7. Aufbau und Struktur:

Die Klausur sollte mit einer klaren Einteilung in Sachverhaltsabschnitte beginnen. Sodann sollte innerhalb der Sachverhaltsabschnitte nach Tätern strukturiert und gegliedert werden (I. Strafbarkeit des X, II. Strafbarkeit des Y, usw.),  gefolgt von der systematischen Abarbeitung der Tatbestände, Rechtswidrigkeit und Schuld. Begonnen werden sollte mit den schwersten Delikten, bevor einfachere geprüft werden.

8. Modulares Arbeiten

Eine Besonderheit des Strafrechts ist das modulare Arbeiten. Im Strafrecht gibt es für jeden Prüfungspunkt streng vorgegebene Unterschemata, die je nach zu prüfendem Delikt modular zusammengesetzt werden können, sodass sich ein richtiges Gesamtschema für das jeweilige Delikt ergibt. So unterscheidet sich die Prüfung eines Delikts als vollendetes Begehungsdelikt von der Prüfung als versuchtes Delikt. Gleiches gilt für Fahrlässigkeitsdelikte, Mittäterschaft, Anstiftung, Beihilfe und mittelbare Täterschaft. Das modulare Arbeiten ist ebenso auf die Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe anwendbar. Jeder Rechtfertigungsgrund, beziehungsweise Entschuldigungsgrund hat ein fest vorgegebenes Schema, das dann im Prüfungspunkt der Rechtswidrigkeit respektive Schuld modular ins Gesamtschema eingefügt werden muss.

Beispiel

Beispiel 1:

Wird § 212 I StGB als vorsätzliches Begehungsdelikt geprüft, muss das Grundschema “Totschlag”verwendet werden.

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Beispiel

Beispiel 2:

Wird ein Totschlag in Mittäterschaft geprüft, muss das Schema der Mittäterschaft einbezogen werden, sodass das Gesamtschema aus den Modulen Schemata “Mittäterschaft” und “Totschlag, § 212 I StGB” besteht. Besonderheiten ergeben sich im Gesamtschema bei der Schuld und der Rechtswidrigkeit, die bei Anlass für die Täter gesondert geprüft werden müssen, weil etwa Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe, Schuldfähigkeit oder Irrtümer unabhängig voneinander bei den Tätern vorliegen können.  Dann bietet sich jedoch eine getrennte Prüfung an. Dazu in diesem Artikel mehr.

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Beispiel

Beispiel 3:

Wird ein Totschlag durch Unterlassen geprüft, müssen die Schemata “Totschlag, § 212 I StGB” und “Unterlassungsdelikt” als Module in das Grundschema miteinbezogen und verbunden werden.

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Beispiel

Beispiel 4:

Soll eine Anstiftung zum Totschlag geprüft werden, setzt sich das Schema aus den Modulen “Schema Anstiftung” und “Schema Totschlag, § 212 I StGB” zusammen.

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Beispiel

Beispiel 5:

Muss ein Totschlag geprüft werden und kommt eine Rechtfertigung durch Notwehr (§ 32 StGB) in Betracht, besteht das Gesamtschema aus den Schemata “Totschlag, § 212 I” und “Notwehr, § 32 StGB”.

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Diese Liste könnte beliebig fortgesetzt werden. Je nach Fallgestaltung sucht man sich also die (Unter-)Schemata zusammen und vereint sie zu einem passenden Gesamtschema.

9. Zeitmanagement:

Ein realistisches Zeitmanagement und abschließende Kontrolle der Arbeit sind essentiell für eine vollständige und präzise Bearbeitung der Klausur, denn erfahrungsgemäß ist eine gute Zeiteinteilung bei Strafrechtsklausuren am wichtigsten. Das liegt vor allem daran, dass das Strafrecht weniger komplexe Lösungswege bereithält. Während es im Zivilrecht oftmals nicht nur einen Weg gibt, ans Ziel zu kommen, ist der Weg im Strafrecht klar vorgegeben. So sind die in Frage kommenden Delikte schnell geklärt und es müssen “nur” die damit verbundenen Probleme ausgemacht werden. Die Schwierigkeit besteht also nicht darin, eine Anspruchsgrundlage zu finden, sondern die Masse aller möglichen Strafbarkeiten abzuarbeiten und alle Probleme darzustellen. Die Strafrechtsklausur wird daher auch häufig “Rennfahrerklausur” genannt. Oftmals zeichnet man sich schon durch eine vollständig bearbeitete Klausur gegenüber anderen Bearbeiten aus, die mit einem Gesamtergebnis und - das i-Tüpfelchen - der Prüfung möglicher Konkurrenzen abschließt.

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