Dieser Artikel behandelt die Erfolgsqualifikation. Erfolgsqualifikationen sind ein Sonderfall der Vorsatzdelikte. Es handelt sich um eine Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination, bei der das Grunddelikt als Vorsatzdelikt verwirklicht werden muss und eine spätere Folge mindestens durch Fahrlässigkeit hervorgerufen wird. Die Klausurrelevanz der Erfolgsqualifikationen ist als hoch zu bewerten, weil nicht nur das Modul “Prüfungsschema Vorsatzdelikt”, sondern auch das Modul “Fahrlässigkeitsdelikt” in die Prüfung Einzug findet. Auch der Umgang mit § 18 StGB spielt dabei eine erhebliche Rolle.
I. Allgemeines
Die Erfolgsqualifikation ist ein spezielles Konstrukt im Strafrecht, bei dem eine Straftat durch den Eintritt eines qualifizierenden Erfolges zu einer schwereren Straftat wird. Sie verbindet ein Grunddelikt mit einer besonders schweren Folge, die über das Grunddelikt hinausgeht, aber durch das Grunddelikt hervorgerufen wird. Erfolgsqualifikationen sind etwa:
Körperverletzung mit Todesfolge, § 227 StGB
Raub mit Todesfolge, § 251 StGB
Schwere Körperverletzung, § 226 StGB
Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer mit Todesfolge, § 316a III StGB
II. Prüfungsaufbau vollendete Erfolgsqualifikation
Zunächst ist im Tatbestand die Verwirklichung des Grunddeliktes zu prüfen. Der objektive und subjektive Tatbestand des Grunddeliktes muss erfüllt sein. Handelt es sich etwa um eine Körperverletzung mit Todesfolge, muss zunächst der Tatbestand des § 223 I StGB verwirklicht worden sein. Sodann wird die Erfolgsqualifikation geprüft. Hier muss zunächst der Eintritt der schweren Folge (der Tod bei § 227 StGB) festgestellt werden. Der Tod muss auf die Handlung des Täters kausal und objektiv zurechenbar zurückzuführen sein. Besonders wichtig ist der Prüfungspunkt des tatbestandsspezifischen Gefahrenzusammenhangs.

1. Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang
Der tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang stellt sicher, dass die Folge auch konkret auf die Körperverletzung zurückzuführen ist.
Definition
Der tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang liegt vor, wenn die schwere Folge gerade aus der spezifischen Gefahr resultiert, die durch die Begehung des Grunddeliktes geschaffen wurde.
a) Abgrenzung zwischen objektiver Zurechnung und tatbestandsspezifischem Gefahrzusammenhang
Der tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang geht über die bloße objektive Zurechnung hinaus. Zwar geht es auch im Rahmen dieses Begriffs um die objektive Zurechnung des Erfolgs zum Täter aber es muss sich zusätzlich im eingetretenen Erfolg gerade die spezifische Gefahr des Grunddeliktes verwirklicht haben.
Zitat
Der BGH formuliert es so, dass der tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang dann gegeben ist, wenn "der Erfolg und das Grunddelikt final [gezielt] miteinander verknüpft sind oder jedenfalls derart eng verbunden sind, dass sich in dem Erfolg die dem Grunddelikt eigentümliche besondere Gefährlichkeit verwirklicht."
Der gefahrspezifische Zusammenhang ist damit enger als die objektive Zurechnung. Wann sich die spezifische Gefahr des Grunddeliktes verwirklicht, kann allerdings immer nur im Einzelfall entschieden werden und hängt davon ab, wie eng der Erfolg noch mit der spezifischen Grundrechtsgefahr verknüpft ist.
Beispiel
T bedroht die Oma O auf dem Nachhauseweg mit einem Messer und nimmt ihr gewaltsam ihre Tasche weg, in der sich Medikamente befinden, die O zum Überleben braucht. Die O stirbt daraufhin.
Der Tod ist T objektiv zurechenbar, da sich die von ihm gesetzte Gefahr realisiert hat.
T hat ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen (Todesgefahr durch Wegnahme überlebenswichtiger Medikamente).
Dieses Risiko hat sich auch im Erfolg realisiert (Tod der O durch fehlende Medikamente).
Ein gefahrenspezifischer Zusammenhang im Sinne des § 251 StGB besteht jedoch nicht, da sich im Tod nicht die raubspezifische Gefahr (Gewalt- oder Drohhandlung) verwirklicht hat, sondern lediglich die Gefahr aus der Wegnahme.
Die spezifische Gefahr des Grunddelikts "Raub" ist dabei nicht die Wegnahme, sondern die qualifizierte Nötigung.
Anders wäre es also, wenn T der Oma O die Handtasche aus der Hand reißt, O hierdurch fällt, mit dem Kopf aufschlägt und stirbt. In diesem Fall wäre der Tod gerade eine raubspezifische Folge, also eine Folge der Gewaltanwendung!
T ist daher nicht nach § 251 StGB strafbar.
Der Unterschied liegt also darin, dass sich bei der objektiven Zurechnung nur das rechtlich missbilligte Risiko (Wegnehmen von Medikamenten) realisieren muss und bei dem gefahrenspezifischen Zusammenhang die spezifische Gefahr (Nötigung durch Bedrohen mit Messer).
Beispiel
T fährt nachts volltrunken mit seinem BMW durch die Innenstadt. Dabei übersieht er den O, der die Straße überquert, kann mit Glück in letzter Sekunde noch abbremsen, bevor er den O anfährt. Ein Gutachten wird später herausfinden, dass aufgrund der spezifischen Gegebenheiten an der Unfallstelle T den O auch in nüchternem Zustand übersehen hätte und somit die gefährliche Situation nicht hätte verhindern können.
T erfüllt unstreitig den Tatbestand des § 315c I Nr. 1 lit. a StGB. Fraglich ist, ob er auch die Erfolgsqualifikation gemäß § 315c I Hs. 2 Alt. 1 StGB (konkrete Gefährdung von Leib und Leben eines anderen Menschen) erfüllt:
Die objektive Zurechnung liegt vor, denn T ist betrunken Auto gefahren. Dadurch hat er ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen, das sich auch im Erfolg (konkrete Gefährdung des O) realisiert hat.
Der tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang liegt nicht vor, denn die Gefährdung ist, wie der Gutachter feststellte, keine spezifische Folge des Grunddelikts des betrunkenen Autofahrens.
Daher kommt eine Strafe gemäß § 315c I Nr. 1 lit. a, Hs. 2 Alt. 1 StGB nicht in Betracht.
Beispiel
T verletzt den O mit einem Messerstich und O erleidet schwere Blutungen. Ein Notarzt wird gerufen und will O ins Krankenhaus fahren. Auf der Fahrt rutscht der Fahrer des Notwagens in einer Kurve aus, da er mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist und kracht in einen Baum. O verstirbt.
Hier gilt etwas Ähnliches. T hat offensichtlich eine schwere Körperverletzung begangen (§§ 223, 224 I Nr. 2 StGB). Möglicherweise ist ihm auch eine Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) vorzuwerfen.
T hat den Tod des O kausal und auch objektiv zurechenbar verursacht, denn er hat durch den Messerstich ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen.
Allerdings besteht kein tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang zwischen der Tat des T und dem Tod des O. Denn der Tod infolge des Unfalls ist keine spezifische Folge der Körperverletzung mit einem Messer.
Insofern ist T nicht gemäß § 227 StGB strafbar.
Klausurtipp
Die Darstellung dieser Abgrenzung wird in der Literatur und auch in der Rechtsprechung nicht einheitlich dargestellt. Teilweise wird die objektive Zurechnung als Teil des tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhangs geprüft, teilweise wird Letzterer neben der objektiven Zurechnung als Unmittelbarkeitszusammenhang bezeichnet. Der BGH selbst ist in seinen Urteilen insoweit nicht eindeutig und stellt zwar regelmäßig das Erfordernis eines spezifischen Gefahrzusammenhangs auf, stellt aber in der Sache zumeist nur auf allgemeine Zurechnungskriterien ab.
Tatsächlich ist es so, dass in den meisten Fällen die objektive Zurechnung und der tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang kongruent sein werden. In Einzelfällen kann es aber eben dazu kommen, dass zwar die objektive Zurechnung zu bejahen ist, nicht aber der tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang. Wann dies der Fall ist, kann nur im Einzelfall beurteilt werden und hängt davon ab, wie eng der Erfolg mit der spezifischen Gefahr des Grunddelikts argumentativ verknüpft werden kann.
Unser Tipp:
Wenn deiner Einschätzung nach die beiden Begriffe kongruent sind, verzichte auf eine separate Prüfung und nenne lediglich den tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhang.
Wenn deiner Einschätzung nach ein Unterschied besteht, prüfe die beiden Begriffe separat, um die jeweiligen Nuancen darstellen zu können.
b) Problem: Anknüpfungspunkt des tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhangs
Problem
Anknüpfungspunkt des tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhangs
Umstritten ist die Frage, welcher Anknüpfungspunkt beim Grunddelikt herangezogen werden muss.
E.A.: Eine Ansicht will den tatbestandlichen Erfolg als Anknüpfungspunkt heranziehen. Demnach muss etwa bei § 227 StGB gerade die eingetretene Gesundheitsschädigung in ihrer spezifischen Art und Schwere zum Tod des Opfers geführt haben.
A.A.: Eine andere Ansicht will hingegen die Körperverletzungshandlung als Anknüpfungspunkt heranziehen. Konkret genügt also die Gefährlichkeit der Handlung, auch wenn der Erfolg des Grunddeliktes (Gesundheitsschädigung) nicht eingetreten ist.
Stellungnahme: Für die a.A. spricht vor allem, dass ein erfolgsqualifizierter Versuch (versuchtes Grunddelikt + eingetretene Folge) nur möglich ist, wenn die schwere Folge bereits aus der Handlung resultieren kann, weil der tatbestandliche Erfolg bei einem Versuch bekanntlich nicht eingetreten sein darf. Dass der Versuch bei einer Erfolgsqualifikation aber grundsätzlich möglich sein muss, ergibt sich aus § 11 II StGB, der die Erfolgsqualifikation eindeutig als Vorsatztat qualifiziert. Ferner bleiben bestimmte Fälle außer Acht, in denen die schwere Folge eingetreten ist.
c) Beispiel 1
Beispiel
Beispiel 1: Wilderer T will Förster O mit einem Jagdgewehr nach einem Streit im Wald bewusstlos schlagen. Beim Zuschlagen löst sich versehentlich ein Schuss, der den O tötet.
Im obigen Beispiel wird das Problem um den Anknüpfungspunkt der Erfolgsqualifikation klar. Weil dem T hinsichtlich des Schusses der Vorsatz fehlt, scheidet das Grunddelikt der Körperverletzung (§ 223 I StGB) aus. Anknüpfungspunkt der Erfolgsqualifikation kann also nicht mehr der Erfolg der Gesundheitsschädigung in Form der Schussverletzung sein, sondern lediglich die durch den Schlag hervorgerufene Verletzung. Weil die Gesundheitsschädigung, die durch den Schlag ausgelöst wurde, für sich genommen aber nicht tödlich ist, scheitert der tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang. Folgte man der e.A. wäre eine Erfolgsqualifikation nicht mehr möglich. Wählt man hingegen die Handlung als Anknüpfungspunkt der Erfolgsqualifikation, wäre § 227 StGB erfüllt. Der Handlung (der Schlag mit einer schussbereiten Waffe) haftet klar die Gefahr an, dass sich ein Schuss löst und das Opfer daran verstirbt. Zwar wäre T ohnehin wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) strafbar, schaut man sich aber die Strafrahmen des § 222 StGB (bis zu drei Jahre) und des § 227 StGB (nicht unter drei Jahre) an, erklärt sich schnell, warum um die Anwendung des § 227 StGB gestritten wird.
d) Beispiel 2 (Fluchtfälle)
Von besonderer Bedeutung sind auch die sogenannten Fluchtfälle.
Beispiel
T schikaniert den O regelmäßig durch Prügelattacken. Eines Tages, als O abends auf dem Heimweg ist, taucht T vor ihm auf und prügelt auf ihn ein. Nach mehreren Tritten und Schlägen gelingt O die Flucht. Beim Versuch, sich zu verstecken, krabbelt O in einer Seitenstraße durch ein zerschlagenes Fenster. Dabei verletzt er sich derart, dass er seinen Verletzungen erliegt.
Auch hier muss die Körperverletzungshandlung Anknüpfungspunkt sein, um eine Bestrafung aus § 227 StGB zu erreichen. Die Schläge und Tritte des T als Körperverletzungshandlung lösen gerade den Fluchtinstinkt und die aus der Flucht resultierende Todesfolge aus. Hier wird deutlich, dass die herrschende Meinung den Anknüpfungspunkt der Erfolgsqualifikation sehr weit versteht.
Klausurtipp
Bei den “Fluchtfällen“ ist nicht nur die Frage des tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhangs zu problematisieren, sondern regelmäßig auch die objektive Zurechnung, weil das Opfer durch ein eigenes Verhalten dazwischentritt.
2. Fahrlässigkeit, § 18 StGB
Die Fahrlässigkeitskomponente der Erfolgsqualifikation findet durch § 18 StGB Einzug in die Prüfung. § 18 StGB schreibt vor, dass dem Täter, der eine besondere Folge herbeiführt, an die das Gesetz eine schwerere Strafe knüpft, “wenigstens Fahrlässigkeit” vorgeworfen werden muss. Hierdurch werden zwei Sachen deutlich:
a) Wortlaut: “wenigstens”
Indem das Gesetz bestimmt, dass dem Täter “wenigstens” Fahrlässigkeit zur Last fallen muss, ist es auch möglich, dass der Täter die schwere Folge vorsätzlich herbeiführen kann. Daraus folgt wiederum, dass auch der Versuch der Erfolgsqualifizierung möglich ist. Das liegt daran, dass der Versuch von Vorsatzdelikten, die als Verbrechen eingestuft werden, gemäß § 23 I StGB strafbar ist. Weil es keinen fahrlässigen Versuch gibt, muss der Täter hinsichtlich der schweren Folge vorsätzlich gehandelt haben. Erst dann ist der Versuch der Erfolgsqualifikation möglich.
b) Wortlaut: “Fahrlässigkeit”
Grundsätzlich orientiert sich die Prüfung der Fahrlässigkeitskomponente der Erfolgsqualifikation am Prüfungsschema des Fahrlässigkeitsdelikts. Auch im Rahmen des § 18 StGB sind die objektiven und subjektiven Anforderungen an die Fahrlässigkeit einzubeziehen, wobei die Definitionen übereinstimmen:
aa) Objektive Fahrlässigkeit
Definition
Objektiv fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, also sorgfaltswidrig handelt, obwohl der Erfolg vorhersehbar war.
aaa) Prüfungsumfang
Problematisch ist im Rahmen der Prüfung der objektiven Fahrlässigkeit jedoch, ob auch die objektive Sorgfaltswidrigkeit gesondert festgestellt werden muss oder das Feststellen der objektiven Vorhersehbarkeit genügt.
Definition
Objektiv sorgfaltswidrig handelt, wer in der konkreten Situation und unter Berücksichtigung der sozialen Rolle des Täters anders vorgegangen ist, als es ein besonnener und gewissenhafter Mensch ex ante getan hätte.
Definition
Objektive Vorhersehbarkeit
Objektiv vorhersehbar ist das, was eine vernünftige Person aus dem gleichen Umfeld des Täters unter den gegebenen Umständen und basierend auf allgemeiner Lebenserfahrung hätte erwarten können.
Problem
Gesonderte Prüfung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit
Die Frage, ob die objektive Sorgfaltswidrigkeit gesondert festgestellt werden muss, wird unterschiedlich beurteilt:
e.A.: Eine Ansicht will nur die Prüfung der objektiven Vorhersehbarkeit genügen lassen, weil sich die objektive Sorgfaltswidrigkeit aus der vorsätzlichen Verwirklichung des Grunddeliktes ergebe.
a.A. Eine andere Meinung hält auch im Rahmen der Erfolgsqualifizierung die gesonderte Feststellung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit für notwendig.
Stellungnahme: Im Ergebnis lässt sich die erste Meinung weithin problemlos vertreten, weil es kaum Fälle gibt, in denen der Täter zwar das Grunddelikt vorsätzlich verwirklicht, darin aber keine objektive Sorgfaltswidrigkeit zu erblicken ist. Es empfiehlt sich dennoch kurz festzustellen, dass die objektive Sorgfaltswidrigkeit in Form der vorsätzlichen Verwirklichung des Grunddeliktes vorliegt.
Merke
Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang muss nicht gesondert geprüft werden, weil die objektive Sorgfaltswidrigkeit in Form der vorsätzlichen Verwirklichung des Grunddeliktes ein rechtmäßiges Alternativverhalten auf Tatbestandsebene ausschließt und der tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang die Kausalität zwischen objektiver Sorgfaltswidrigkeit und Eintritt der schweren Folge ausreichend berücksichtigt.
bbb) Leichtfertigkeit
Einige Erfolgsqualifikationen setzen hinsichtlich der Herbeiführung der schweren Folge Leichtfertigkeit voraus, wobei die Leichtfertigkeit begrifflich der groben Fahrlässigkeit im BGB gleichzustellen ist. Beispiele für Erfolgsqualifikationen, die Leichtfertigkeit voraussetzen, sind §§ 251, 239a III StGB. Begründen lässt sich diese schärfere Anforderung mit der Androhung der lebenslangen Freiheitsstrafe.
Definition
Leichtfertigkeit:
Leichtfertig handelt, wer zwar auf das Ausbleiben des tatbestandlichen Erfolges vertraut, sich aber aus frivoler Rücksichtslosigkeit über die klar erkannte Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung hinwegsetzt.
Die Leichtfertigkeit ist als Unterfall der objektiven Fahrlässigkeit zu verstehen und hat ebenfalls die objektive Sorgfaltswidrigkeit und die objektive Vorhersehbarkeit als Voraussetzung, ergänzt durch eine zusätzliche Anforderung. Diese besteht darin, dass die Sorgfaltswidrigkeit in besonderem Maße schwerwiegend sein muss. Die Gefahr des Erfolgseintritts muss sich dem Täter förmlich aufgezwungen haben, sodass er nur aus grober Rücksichtslosigkeit dennoch handelte. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Täter in Abgrenzung zum dolus eventualis trotzdem auf das Ausbleiben des Erfolgseintritts vertraute. Die Leichtfertigkeit kann somit als "qualifizierte" objektive Fahrlässigkeit beschrieben werden.
Klausurtipp
In der Klausursituation muss also nach besonderen Anhaltspunkten im Sachverhalt gesucht werden, die die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung begründen. Nur wenn sich die Gefahr aufgrund der konkret geschilderten Situation im Sachverhalt dem Täter förmlich aufdrängen musste, kann die besonders frivole Rücksichtslosigkeit begründet werden.

bb) Subjektive Fahrlässigkeit
Definition
Subjektive Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die objektive Sorgfaltswidrigkeit dem Täter nach seinen individuellen Fähigkeiten und dem Maß des individuellen Könnens auch subjektiv vorgeworfen werden kann und der Erfolg auch subjektiv vorhersehbar war.
Merke
Die subjektive Fahrlässigkeit wird in den meisten Fällen unproblematisch vorliegen. Ausnahmen ergeben sich nur bei physischen oder psychischen Einschränkungen und dem Vorliegen von asthenischen Affekten (extreme Verwirrung, Panik, Furcht etc.).
III. Erfolgsqualifikation in Kombination mit dem Versuch
Auch eine Koppelung von Erfolgsqualifizierung und Versuch ist denkbar. Dabei werden drei mögliche Kombinationen unterschieden.
Erfolgsqualifizierter Versuch: Das Grunddelikt ist im Versuchsstadium stecken geblieben, die schwere Folge ist aber eingetreten.
Versuchte Erfolgsqualifikation (1): Das Grunddelikt ist vollendet, aber die schwere Folge ist im Versuchsstadium stecken geblieben
Versuchte Erfolgsqualifikation (2): Sowohl das Grunddelikt als auch die schwere Folge sind im Versuchsstadium stecken geblieben.
Vernetztes Lernen
Hier können wunderbar Parallelen zur Kombination von Versuch und Regelbeispiel gezogen werden. Auch im Rahmen der Regelbeispiele sind drei Konstellationen denkbar, die sehr den hier aufgeführten Kombinationen ähneln.

1. Allgemeines
Zunächst kann man sagen, dass jede der oben genannten Kombinationen möglich und damit strafbar ist. Begründen kann man das mit dem Wortlaut des § 22 StGB, der davon spricht, dass ein Versuch vorliegt, sobald zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar angesetzt wird. Die Erfolgsqualifikationen werden wegen § 11 II StGB als einheitliches Vorsatzdelikt eingestuft, die einen einheitlichen Tatbestand aufweisen. Wer zur Tatbestandsverwirklichung des Grunddeliktes ansetzt, setzt damit auch zur Erfolgsqualifikation unmittelbar an.
Beispiel
Wer zu einer Körperverletzung im Sinne des § 223 I StGB ansetzt, setzt damit gleichzeitig zur Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB an. Wer zu einem Raub (§ 250 StGB) ansetzt, setzt damit gleichzeitig zum Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB) unmittelbar an.
Erkennbar bietet das Raum für eine unzulässige extensive Anwendung der Erfolgsqualifikationen, wenn jeder Versuch des Grunddeliktes bereits den Versuch der Erfolgsqualifikation darstellen würde. Die enorm hohe Strafandrohung der Erfolgsqualifikationen gebietet jedoch eine restriktive Handhabung der Tatbestände. Diese wird - wie gleich zu sehen sein wird - dadurch erreicht, dass trotz einheitlichen Tatbestands von Grunddelikt und Erfolg die Anforderungen des Versuchs auch an die schwere Folge gestellt werden.
2. Erfolgsqualifizierter Versuch
Bleibt das Grunddelikt im Versuchsstadium stecken, tritt die schwere Folge aber ein, wird die restriktive Anwendung durch das Erfordernis der objektiven Zurechnung - erreicht. Der Täter muss nämlich den Erfolg des Grunddeliktes objektiv zurechenbar verursachen wollen.
Vernetztes Lernen
Das Schema des Grunddeliktes setzt sich wiederum aus dem Modul “Schema vorsätzliches Begehungsdelikt” und dem Modul “Schema Versuch” zusammen, sodass auch die objektive Zurechnung vom Tatentschluss des Täters erfasst sein muss. Der Versuch des vorsätzlichen Begehungsdelikts wird in diesem Artikel behandelt.
Zudem muss der tatbestandsspezifische Gefahrzusammenhang vorliegen und dem Täter der Tatentschluss hinsichtlich des Grunddeliktes vorgeworfen werden können. Weil die schwere Folge aber eingetreten ist, muss der Täter diesbezüglich keinen Tatentschluss haben. Es genügt der Vorwurf der Fahrlässigkeit. Der Tatbestand wird daher zweiteilig geprüft.

Beispiel
Beispiel 1:
T will den O mal wieder verprügeln. Eines Abends trifft der O auf T. T geht mit der Drohung, dem O eine Abreibung zu verpassen, auf ihn zu und holt aus. T kann seinem Schlag noch ausweichen, flüchtet und zieht sich beim Versuch, sich vor T zu verstecken, an einem zerbrochenen Fenster tödliche Schnittverletzungen zu.
In diesem Beispiel hat T zu § 223 I StGB unmittelbar angesetzt. Der Tod (§ 227 StGB) des O ist eingetreten und lässt sich auch auf die Schlaghandlung des T zurückführen. Damit ist T gemäß §§ 223 I, II, 22 i.V.m. § 227 I StGB strafbar.
Beispiel
Beispiel 2:
T will das Haus des O anzünden und legt dafür im Keller des O einen Brand. T vertraut darauf, dass niemand verletzt wird. Noch bevor das Feuer auf wesentliche Teile des Hauses des O überspringt, kann O das Feuer löschen, zieht sich dabei aber schwere Verbrennungen zu.
T hat klar zum Grunddelikt (schwere Brandstiftung, § 306a I Nr. 1 StGB) angesetzt und die schwere Folge des § 306b I StGB ist eingetreten, sodass T gemäß §§ 306a I Nr. 1, 22, 23 I i.V.m. § 306b I, 18 StGB strafbar ist.
Merke
Würde im Rahmen des tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhangs nur an den Erfolg angeknüpft und nicht an die Tathandlung, wäre der erfolgsqualifizierte Versuch nicht möglich.
3. Versuch der Erfolgsqualifikation
Tritt die schwere Folge nicht ein und ist das Grunddelikt im Versuchsstadium stecken geblieben oder vollendet, wird die restriktive Anwendung der Erfolgsqualifikationen dadurch erreicht, dass auch die Herbeiführung der schweren Folge vom Tatentschluss des Opfers umfasst sein muss. Das bedeutet, der Fahrlässigkeitsvorwurf genügt nicht. Vielmehr muss dem Täter nachgewiesen werden, dass die Herbeiführung der schweren Folge von seinem Vorsatz umfasst war.
Klausurtipp
Im Sachverhalt muss daher klar beschrieben werden, dass der Täter die schwere Folge herbeiführen wollte.
a) Versuchte Erfolgsqualifikation (Verwirklichung des Grunddeliktes und Versuch der Erfolgsqualifikation)
Beispiel
T will O durch Überschütten mit einer ätzenden Flüssigkeit erblinden lassen. T schüttet O die ätzende Flüssigkeit ins Gesicht. O erleidet aber nur Verätzungen auf der Stirn und an den Augenlidern, die folgenlos abheilen.
In diesem Beispiel hat T das Grunddelikt (Körperverletzung, § 223 I StGB) vollendet, die schwere Folge (Verlust des Sehvermögens, § 226 I Nr. 1 StGB) ist aber nicht eingetreten. Weil T aber klar den Willen hatte, den O zu erblinden, hatte er Vorsatz und damit Tatentschluss bezüglich der Erfolgsqualifikation (§ 226 I Nr. 1 StGB). T hat auch zur Verwirklichung der schweren Folge angesetzt, indem er O die Flüssigkeit ins Gesicht schüttete. T ist wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung (§ 224 I Nr. 1 Var. 1 StGB) und versuchter schwerer Körperverletzung (§ 226 I Nr. 1, 22, 23 I StGB) strafbar. Die Delikte stehen in Tateinheit zueinander.

b) Versuchte Erfolgsqualifikation (Versuch des Grunddeliktes und Versuch der Erfolgsqualifikation)
Beispiel
T will O durch Überschütten mit einer ätzenden Flüssigkeit erblinden lassen. Als T den O erblickt, schüttet er die vermeintlich ätzende Flüssigkeit in Richtung des Gesichts des O, der die Flüssigkeit auch in die Augen bekommt. Sodann stellt sich heraus, dass der Apotheker A dem T versehentlich die falsche Glasampulle mitgegeben hatte. Es handelte sich nur um eine Kochsalzlösung, die keinerlei Verletzungen verursachte.
In diesem Beispiel sind weder das Grunddelikt der Körperverletzung noch die schwere Folge der Erfolgsqualifikation (Verlust des Sehvermögens) eingetreten. T hatte aber Vorsatz und damit Tatentschluss hinsichtlich der Gesundheitsschädigung und der schweren Folge. T hat durch seine Handlung zum Grunddelikt und gleichzeitig auch zur schweren Folge unmittelbar angesetzt. Es erfolgt also eine doppelte Versuchsprüfung. T ist wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 224 I Nr. 1 Var. 1, 22, 23 I StGB und versuchter schwerer Körperverletzung gemäß §§ 226 I Nr. 1, 18, 22, 23 I StGB in Tateinheit strafbar.



