I. Einleitung
Die einstweilige Anordnung nach § 123 I VwGO ist ein Instrument des vorläufigen Rechtsschutzes im Verwaltungsprozess. Es ergänzt in diesem System die §§ 80, 80a VwGO und stellt in Abgrenzung zu diesen eine vorläufige Rechtsschutzmöglichkeit bei Verpflichtungs-, Leistungs- oder Feststellungsbegehren in der Hauptsache dar.
Beispiel
Eine Behörde veröffentlicht die Ergebnisse einer Gaststättenkontrolle. Der Gaststättenbetreiber verlangt von der Behörde die Unterlassung dieser Veröffentlichung.
In der Hauptsache geht es demnach um einen Unterlassungsanspruch, der mit der allgemeinen Leistungsklage geltend gemacht werden muss.
Wenn dabei aufgrund der Umstände zeitlich bald folgende negative Auswirkungen für den Betreiber zu erwarten sind, etwa eine drohende Insolvenz aufgrund mangelnden Umsatzes/Gewinns, kann er einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 I 1 VwGO bei Gericht stellen (nach einem vorherigen Antrag bei der Behörde selbst).

II. Zulässigkeit
1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 I 1 VwGO
Für eine ausführliche Darstellung der Prüfung der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs siehe hier.
2. Statthaftigkeit des Antrags
a) Subsidiarität, § 123 V VwGO
Gemäß § 123 V VwGO gelten die Vorschriften des § 123 I - III VwGO nicht für Fälle der §§ 80 und 80a VwGO.
Daraus ergibt sich, dass § 123 VwGO in den Fällen, in denen die §§ 80, 80a VwGO anwendbar sind, subsidiär zu diesen ist. § 123 VwGO kommt als statthafte Antragsart nur in Betracht, wenn es nicht um die Vollziehung eines belastenden Verwaltungsakts geht.
Damit bleiben Fälle des Verpflichtungs-, Leistungs- oder Feststellungsbegehrens in der Hauptsache.
b) Abgrenzung zum vorbeugenden Rechtsschutz
Der Antrag nach § 123 I 1 VwGO ist vom vorbeugenden Rechtsschutz gegen zukünftiges Verwaltungshandeln abzugrenzen.

c) Antragsbegehren
Wenn § 123 VwGO anwendbar ist, richtet sich die Statthaftigkeit im Weiteren nach dem Antragsbegehren, § 88 VwGO.
Der Kläger muss den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung eines Zustands (§ 123 I 1 VwGO) oder zur Regelung eines Rechtsverhältnisses (§ 123 I 2 VwGO) begehren.
Definition
Es handelt sich bei der Sicherungsanordnung (I 1) um einen bereits bestehenden Zustand (status quo), bezüglich dessen der Antragsteller erreichen möchte, dass sich dieser nicht verändert, er also gesichert werden soll.
Die Regelungsanordnung dient dem Zweck, eine vorläufige Regelung bezüglich eines strittigen Rechtsverhältnisses (beziehungsweise eines Rechts für den Antragsteller) zu treffen, damit wesentliche Nachteile vermieden werden können. Dem Antragsteller geht es also um eine Erweiterung seines Rechtskreises.
3. Antragsbefugnis, § 42 II VwGO analog
Für die Antragsbefugnis nach § 42 II VwGO analog müsste die Möglichkeit einer subjektiven Rechtsverletzung des Klägers bestehen. Bei § 123 VwGO bedeutet das, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund möglich erscheinen müssen.
Zudem ist eine Eilbedürftigkeit erforderlich.
4. Antragsgegner, § 78 VwGO analog
Hier gilt wie gewohnt das Rechtsträgerprinzip. Wenn in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage statthaft ist, gilt dieses über § 78 VwGO analog.
Merke
Wenn ein Leistungs- oder Feststellungsbegehren in der Hauptsache statthaft ist, darf, wie sonst bei diesen Klagearten, auch hier im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht § 78 VwGO (analog) zitiert werden!
5. Beteiligten- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62 VwGO
Für eine ausführliche Darstellung der Beteiligten- und Prozessfähigkeit siehe hier.
6. Ordnungsgemäße Antragsstellung, §§ 81, 82 VwGO
Für eine ausführliche Darstellung der Prüfung der ordnungsgemäßen Antragsstellung siehe hier.
7. Rechtsschutzbedürfnis
a) Vorherige Widerspruchserhebung erforderlich?
Die Frage, ob eine vorausgehende Erhebung eines Widerspruchs erfolgen muss, stellt sich nur bei der Verpflichtungsklage und nur wenn ein Vorverfahren durchzuführen ist. Diese wird aber nach allgemeiner Ansicht abgelehnt, weshalb kein Erfordernis eines vorausgehenden Widerspruchs besteht. Daher kommt dieser Frage keine hohe Relevanz zu.
b) Vorheriger Antrag an Behörde
Anders als bei § 80 V VwGO ist beim Antrag nach § 123 VwGO ein vorheriger Antrag an die Behörde erforderlich.
Eine Ausnahme davon besteht nur, wenn eine hohe Eilbedürftigkeit vorliegt.
c) Kein einfacherer Weg, Rechtsschutz zu erreichen
d) Keine offensichtliche Unzulässigkeit der Hauptsache
III. Begründetheit
Der Antrag ist begründet, soweit die Tatsachen für einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht sind.

1. Anordnungsanspruch
Zunächst ist zu prüfen, ob ein Anordnungsanspruch besteht.
Dies richtet sich nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache, also ob der geltend gemachte Anspruch des Antragstellers besteht. Dieser ist daher inzident zu prüfen.
Je nachdem, inwieweit dieser besteht, besteht der Anordnungsanspruch.
2. Anordnungsgrund
Der Anordnungsgrund ist der Grund, wieso eine Eilentscheidung notwendig ist. Hierbei ist zwischen Sicherungs- und Regelungsanordnung zu differenzieren.
a) Sicherungsanordnung (§ 123 I 1 VwGO)
Zitat
§ 123 I 1 VwGO:
” [...] Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.”
Anhand dieses Maßstabs ist eine von den Erfolgsaussichten unabhängige Interessenabwägung anhand des Sachverhalts vorzunehmen.
b) Regelungsanordnung (§ 123 I 2 VwGO)
Zitat
§ 123 I 2 VwGO:
” [...] um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint .”
Hier gilt das Gleiche wie bei der Sicherungsanordnung. Es ist anhand dieses Maßstabs eine von den Erfolgsaussichten unabhängige Interessenabwägung anhand des Sachverhalts vorzunehmen.
3. Glaubhaftmachung
Es muss eine ausreichende Glaubhaftmachung der für den Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund begründenden Tatsachen seitens des Antragstellers vorliegen, die sich an der freien Beweiswürdigung durch das Gericht orientiert (vgl. § 108 I VwGO).
Gesetzesverweis
Sofern es in deinem Bundesland zulässig ist, zitiere dir den § 294 ZPO an den § 123 VwGO, um die Verweiskette über § 920 ZPO zu schließen und dich an die Regelung zur Glaubhaftmachung zu erinnern.
Hier gibt es keine festen Maßstäbe, sondern es ist am Sachverhalt zu argumentieren.
4. Rechtsfolge
Aus dem Wortlaut des § 123 I 1 VwGO “Auf Antrag kann das Gericht…” ist zu erkennen, dass die Rechtsfolge eine Ermessensentscheidung des Gerichts ist.
a) Anordnungspflicht des Gerichts
Auch wenn der Wortlaut des § 123 I 1 VwGO an sich eine Ermessensentscheidung vorsieht, sind hier alle tatbestandlichen Voraussetzungen, vor allem ein Überwiegen bei der Interessenabwägung, bereits festgestellt worden. Es besteht daher keine Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung bezüglich des “Ob”, also ob eine Anordnung seitens des Gerichts erfolgt.
Das Ermessen des Gerichts nach § 123 III VwGO i.V.m. § 938 ZPO bezieht sich nur auf den Inhalt der Entscheidung.
b) Inhalt der Entscheidung
aa) Keine Vorwegnahme der Hauptsache
Grundsätzlich darf das Gericht keine Entscheidung treffen, die zu irreversiblen Zuständen hinsichtlich des späteren Hauptverfahrens führt. Etwas anderes gilt jedoch, wenn eine vorweggenommene Entscheidung erforderlich ist, um dem Antragsteller effektiven Rechtsschutz (Art. 19 IV GG) zu gewähren, weil umgekehrt ihm irreversible Nachteile entstünden, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht rückgängig gemacht werden könnten und somit ein Abwarten unzumutbar erscheint. Zusätzlich erforderlich ist in diesen Fällen jedoch, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Antragsteller in der Hauptsache obsiegen würde.
Merke
Vorwegnahme der Hauptsache
Im Rahmen der Vorwegnahme der Hauptsache kann folgendes Problem relevant werden: Von Literatur und Rechtsprechung wird unterschiedlich beurteilt, wann eine Vorwegnahme der Hauptsache vorliegt.
Die Rechtsprechung vertritt die Auffassung, dass es zu keiner Vorwegnahme, auch keiner teilweise Vorwegnahme kommen darf. Die Anordnung soll entsprechend dem Wesen und Zweck des vorläufigen Rechtsschutzes die Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorwegnehmen dürfen.
Die herrschende Lehre differenziert zwischen endgültiger und bloß vorläufiger Vorwegnahme. Zu beachten ist dabei, dass in diesem Zusammenhang nur diejenige Vorwegnahme der Hauptsache problematisch sein kann, die endgültig ist, d.h. die irreversible Fakten für die Zukunft schafft, die Hauptsacheentscheidung also gegenstandslos macht. Ein solcher Fall ist etwa dann gegeben, wenn für einen ganz bestimmten Zeitpunkt oder Zeitraum der Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung begehrt wird. Mit Zeitablauf ist dann nämlich eine Entscheidung in der Hauptsache obsolet geworden.
Dies führt nur in Fallkonstellation zu unterschiedlichen Ergebnissen, bei denen zum einen eine Vorwegnahme durch Schaffung irreversibler Tatsachen für einen Zeitraum oder einen Teilbereich gegeben ist, gleichzeitig eine Entscheidung in der Hauptsache nicht obsolet wird, da ein weiterer Zeitraum oder Bereich von dieser betroffen ist.
bb) Keine Überschreitung der Hauptsache
Zudem darf das Gericht die Entscheidungsmöglichkeiten, welche in der Hauptsache bestehen und auf welche sie damit beschränkt ist, überschreiten.