I. Vertragsinhalt
Wenn man in einer Prüfung festgestellt hat, dass ein Vertragsschluss vorliegt, stellt sich die Frage nach dem Inhalt des geschlossenen Vertrags. Dieser wird durch Vertragsauslegung, materielle Auslegungsregeln und ergänzende Vertragsauslegung ermittelt. Schau dir ergänzend hierzu auch nochmal den Artikel zur Auslegung von Willenserklärungen durch.

II. Vertragsauslegung
Die Vertragsauslegung erfolgt nach §§ 133, 157 BGB. Sie lässt sich kaum von der Auslegung von Willenserklärungen trennen. Steht fest, dass die Parteien in der Sache tatsächlich geeinigt haben („natürlicher Konsens“), ist eine Auslegung entbehrlich. Andernfalls ist der Vertrag so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
1. Materielle Auslegungsregeln
Wenn sich im Gesetz die Worte „im Zweifel“ auf den Inhalt von Rechtsgeschäften beziehen, handelt es sich um materielle Auslegungsregeln.
Beispiel
§ 125 S. 2 BGB: Nichtigkeit bei Formverstößen gegen eine rechtsgeschäftlich vereinbarte Form
§ 311c BGB: Umfang von Immobilienveräußerungen
§ 364 II BGB: Übernahme von Verbindlichkeit bei Erfüllung
§ 415 III BGB: Befriedigung bei Schuldübernahme
§ 454 I 2 BGB: Kauf auf Probe
§ 926 I 2 BGB: Übereignung von Grundstückszubehör
Materielle Auslegungsregeln sind widerlegliche Vermutungen. Soweit keine Parteiwillen erkennbar sind, wird der Vertragsinhalt vermutet.
Merke
Die „normale“ Auslegung hat Vorrang. Auslegungsregeln greifen nur bei Zweifeln ein, sind also subsidiär. Wenn also kein Zweifel besteht, greift auch die Zweifelsregelung nicht.
2. Ergänzende Vertragsauslegung, § 157 BGB
Die ergänzende Vertragsauslegung kommt zum Einsatz, wenn der Vertrag eine planwidrige Regelungslücke aufweist.
Eine Regelungslücke besteht, wenn die Parteien einen Punkt übersehen oder wenn sie ihn bewusst offen gelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben und sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt. Damit kann die Regelungslücke anfänglich oder nachträglich sein. Nachträgliche Regelungslücken können insbesondere wegen einer Veränderung der Umstände auftreten.
Eine Regelungslücke ist nur planwidrig, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zu Grunde liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen.
Das ist der Fall, wenn ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen wäre.
Eine ergänzende Vertragsauslegung ist damit nur zulässig, wenn die Regelungslücke sich nicht durch dispositives Gesetzesrecht schließen lässt und sie zu dem Ergebnis führt, dass das Vertragsgefüge völlig einseitig zu Gunsten einer Partei verschoben wird.
Die ergänzende Vertragsauslegung ist in folgenden Fallgruppen einschlägig:
Die Heranziehung des dispositiven Rechts widerspricht dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Parteiwillen. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn das dispositive Recht veraltet ist und deshalb regelmäßig abbedungen wird
Der Geschäftstyp ist nicht gesetzlich geregelt (z. B. Leasing)
Der Vertrag enthält gegenüber dem Normaltyp Besonderheiten, für die das dispositive Recht keine passende Regelung zur Verfügung stellt
Im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung sind die vertraglichen Regelungen entsprechend dem hypothetischen Parteiwillen zu ergänzen. Es ist zu ermitteln, was die Parteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Geschäftspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten.
Schranken der ergänzenden Vertragsauslegung ergeben sich hierbei daraus, dass mehrere Lösungen möglich sein können und der Vertragsgegenstand nicht erweitert werden darf.
Die ergänzende Vertragsauslegung ist von der Störung der Geschäftsgrundlage abzugrenzen. Bei der Störung der Geschäftsgrundlage wird ein nicht vorhandener Regelungsplan vom Richter geschaffen.
Demgegenüber schließt die ergänzende Vertragsauslegung eine Lücke, damit der Regelungsplan der Parteien durchführbar wird oder bleibt.
Soweit eine ergänzende Vertragsauslegung möglich ist, ist ihr der Vorrang einzuräumen.