I. Einleitung
Art. 6 I GG stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung und unterstreicht damit ihre fundamentale Bedeutung für die Gesellschaft. Das Grundrecht schützt nicht nur die Institutionen selbst, sondern auch die individuellen Rechte der Familienmitglieder. Es begründet zudem staatliche Schutzpflichten, die sicherstellen sollen, dass Ehe und Familie in ihrer sozialen Funktion erhalten und gefördert werden. Neben Art. 6 I GG findet sich in Art. 6 II 1 GG ein eigenständiges sogenanntes Elternrecht, welches das Recht von Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder schützt. Diesem kommt neben Art. 6 I GG die größte Bedeutung im Kontext von Art. 6 GG zu.
Insgesamt enthält Art. 6 GG in seinen einzelnen Absätzen jeweils spezifische Aspekte des Schutzes und der Pflichten in Bezug auf Ehe, Familie, Eltern und Kinder.
Art. 6 I GG stellt die Ehe und Familie unter besonderen grundrechtlichen Schutz
Art. 6 II GG enthält das sogenannte Elternrecht
Art. 6 III GG regelt die Voraussetzungen der Trennung von Eltern und Kindern
Art. 6 IV GG regelt den Schutz der Mutter
Art. 6 V GG regelt die Gleichstellung unehelicher Kinder mit ehelichen Kindern

II. Schutz von Ehe und Familie, Art. 6 I GG

1. Schutzbereich
a) Persönlicher Schutzbereich
Bei Art. 6 I GG handelt es sich mangels Einschränkung im Wortlaut um ein Jedermannsrecht.
b) Sachlicher Schutzbereich
Definition
Ehe im Sinne des Art. 6 I GG ist jede nach deutschem oder ausländischem Recht geschlossene Ehe.
Nicht geschützt sind nicht-eheliche Lebensgemeinschaften oder ausländische Mehrehen.
Definition
Familie ist die Gemeinschaft von Eltern und Kindern (unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet sind).
Der Schutz der Familie schließt auch familiäre Bindungen zwischen nahen Verwandten ein, insbesondere zwischen Großeltern und ihrem Enkelkind (Rechtsprechung des BVerfG).
Art. 6 I GG hat verschiedene Funktionen: Wie alle Grundrechte ist auch Art. 6 I GG zunächst ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe. Darüber hinaus folgt daraus auch eine Institutionsgarantie. Der Staat ist verpflichtet, den Bestand von Ehe und Familie als solchen zu sichern. Daraus ergeben sich daher auch Schutzpflichten des Staates.
Beispiel
Der Staat kann die Ehe steuerlich begünstigen (z. B. Ehegattensplitting), um deren Bestand und Förderung zu sichern.
Der Staat muss rechtliche Rahmenbedingungen schaffen, die den Bestand von Familien fördern, z. B. durch Elternzeitregelungen, Kindergeld oder die Förderung von Betreuungseinrichtungen.
2. Eingriff
Bei der Prüfung des Eingriffs bestehen keine Besonderheiten.
Beispiel
Eine Abschaffung des Ehegattensplittings ohne angemessenen Ausgleich könnte als Eingriff angesehen werden, da dies die rechtlich geförderte Ehe wirtschaftlich benachteiligen könnte.
Das Unterlassen von staatlichen Leistungen, die Familien schützen und fördern sollen, könnte in bestimmten Fällen als mittelbarer Eingriff gewertet werden (z. B. unzureichende Kinderbetreuung oder fehlender Mutterschutz).
3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
a) Einschränkungsmöglichkeit
Art. 6 I GG unterliegt mangels Gesetzesvorbehalt im Wortlaut nur verfassungsimmanenten Schranken. Eingriffe können also nur durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden.
b) Verfassungsmäßige Konkretisierung der Einschränkungsmöglichkeit
Hier bestehen keine Besonderheiten zur gewohnten Prüfung.
Problem
Einfluss von Art. 6 GG bei Ausweisung
Die Ausweisung eines Ausländers kann tiefgreifende Auswirkungen auf das Familienleben haben. Daher müssen Behörden bei solchen Entscheidungen die familiären Bindungen des Betroffenen berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht betont, dass Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt gewährt. Dennoch verpflichtet er die Behörden, familiäre Bindungen in ihre Erwägungen einzubeziehen und entsprechend zu gewichten.
In der Praxis bedeutet dies, dass eine Ausweisung nur dann verhältnismäßig ist, wenn das öffentliche Interesse an der Ausweisung die familiären Interessen überwiegt. Dabei sind Faktoren wie die Dauer des Aufenthalts, die Integration und die Intensität der familiären Bindungen zu berücksichtigen. In bestimmten Fällen kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit Art. 6 GG die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung gebieten, ohne dass der Ausländer zur vorherigen Ausreise verpflichtet ist.
Problem
Familiennachzug und Art. 6 GG:
Der Familiennachzug ermöglicht es Familienangehörigen, zu in Deutschland lebenden Personen nachzuziehen. Obwohl Art. 6 GG Ehe und Familie schützt, begründet er keinen unmittelbaren Anspruch auf Familiennachzug. Der Gesetzgeber hat jedoch Regelungen geschaffen, die den Nachzug unter bestimmten Voraussetzungen ermöglichen. Diese Regelungen müssen im Lichte von Art. 6 GG ausgelegt werden, um sicherzustellen, dass der Schutz von Ehe und Familie gewahrt bleibt.
III. Elternrecht, Art. 6 II GG
In Art. 6 II 1 GG ist das sogenannte Elternrecht etabliert.
1. Schutzbereich
a) Persönlicher Schutzbereich
Zum persönlichen Schutzbereich des Elternrechts aus Art. 6 II 2 GG zählen die leiblichen Eltern (unabhängig davon, ob sie verheiratet sind), die Adoptiveltern sowie zwei Personen gleichen Geschlechts, die rechtlich als Eltern eines Kindes anerkannt sind.
Merke
Beachte hier auch die Regelungen zur Vaterschaft in den §§ 1592 ff. BGB. Relevant ist hier vor allem die Vermutung der Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 BGB.
b) Sachlicher Schutzbereich
Zitat
Art. 6 II 1 GG:
„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvorderst ihnen obliegende Pflicht.“
Definition
Pflege bezieht sich auf die physische und emotionale Versorgung des Kindes. Umfasst sind insbesondere körperliche Versorgung, emotionale Zuwendung und die Förderung der Entwicklung.
Definition
Erziehung beschreibt die geistige, moralische und soziale Entwicklung des Kindes und die Elternpflicht, das Kind auf ein eigenständiges Leben in der Gesellschaft vorzubereiten. Dies umfasst die moralische Wertevermittlung, die Bildung und Förderung sowie die Eigenständigkeit und Mündigkeit.
Das Recht der Eltern umfasst damit vollumfänglich Art, Weise und Ausmaß der Pflege und Erziehung des Kindes. Dabei steht Art. 6 II 1 GG im engen Zusammenhang mit anderen Grundrechten. Da von der Erziehung auch die religiöse oder weltanschauliche Erziehung des Kindes erfasst ist, ist ein enger Bezug zu Art. 4 I GG gegeben. Auch zu Art. 7 II GG besteht ein enger Bezug, da dieser Erziehungsberechtigten das Recht zuschreibt, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.
2. Eingriff
Bei der Prüfung des Eingriffs bestehen keine Besonderheiten.
Beispiel
Das Jugendamt ordnet sozialpädagogische Erziehungshilfen an, die Eltern müssen mit Fachkräften zusammenarbeiten und deren Anweisungen folgen.
3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
a) Einschränkungsmöglichkeit
Bei der Einschränkungsmöglichkeit von Art. 6 II 1 GG sind verschiedene Aspekte zu beachten.
Zunächst ergibt sich direkt aus Art. 6 II 1 GG neben dem Elternrecht auch eine Elternpflicht, welche erstere einschränken kann.
Beispiel
Eltern verletzen ihre Aufsichtspflicht oder gefährden das Kind (z. B. durch Vernachlässigung oder Gewalt).
Daneben findet sich in Art. 6 II 2 GG das sogenannte Wächteramt des Staates. Dieses stellt eine Schutzpflicht des Staates dar, das Wohl des Kindes sicherzustellen, wenn die Eltern dieser Aufgabe nicht gerecht werden.
Beispiel
Wenn im obigen Beispiel der Staat Kenntnis der Umstände erlangen würde, müsste er eingreifen und Maßnahmen wie eine Inobhutnahme des Kindes anordnen.
Für die Trennung von Eltern und Kindern findet sich zudem eine spezielle Einschränkungsmöglichkeit in Art. 6 III GG. Demnach dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
Ansonsten bestehen auch bezüglich Art. 6 II 1 GG nur verfassungsimmanente Schranken, also nur eine Einschränkungsmöglichkeit durch kollidierendes Verfassungsrecht.
b) Verfassungsmäßige Konkretisierung der Einschränkungsmöglichkeit
Hier bestehen ebenfalls keine Besonderheiten zur gewohnten Prüfung.
IV. Art. 6 IV und V GG
Art. 6 IV GG garantiert den besonderen Schutz von Müttern. Dabei handelt es sich um ein eigenständiges Grundrecht. Dieser Schutz umfasst sowohl arbeitsrechtliche als auch sozialrechtliche Regelungen und stellt sicher, dass Mütter während der Schwangerschaft und nach der Geburt vor Nachteilen bewahrt werden und Unterstützung erhalten. Ziel ist der Ausgleich biologischer Nachteile.
Bei Art. 6 V GG handelt es sich um einen speziellen Gleichheitssatz, der die Gleichstellung unehelicher Kinder mit ehelichen Kindern regelt.