I. Einleitung
Der Annexantrag nach § 113 I 2 ist das prozessuale Instrument zur Durchsetzung eines materiellen Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs. Zweck ist es, unnötige (doppelte) Prozesse, die inhaltlich dieselbe Sache betreffen, zu vermeiden.
Dies ist vor dem Hintergrund notwendig, dass der materielle Anspruch auf Rückgängigmachung erst mit Rechtskraft des Urteils entsteht. Ohne die Möglichkeit des Annexantrags müsste dann nach Rechtskraft des Urteils ein erneuter Prozess bezüglich des Anspruchs auf Rückgängigmachung der Vollzugsfolgen geführt werden.
So kann das Gericht, bei Vorliegen der Voraussetzungen, auch schon vor Eintritt der Rechtskraft über die Rückgängigmachung etwaiger Vollzugsfolgen des aufgehobenen Verwaltungsaktes entscheiden.
II. Inhalt
1. § 113 I 2 VwGO
Zitat
§ 113 I 2 VwGO:
“Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat.”
§ 113 I 2 VwGO bezieht sich auf § 113 I 1 VwGO, welcher den Urteilstenor, also die Begründetheit der Anfechtungsklage, regelt. Der Annexantrag nach § 113 I 2 VwGO ist also neben der Anfechtungsklage zu stellen. Voraussetzung ist, dass der Verwaltungsakt bereits vollzogen wurde.
Beispiel
A erhält einen Bußgeldbescheid über 200 Euro, gegen welchen er Widerspruch und Anfechtungsklage erhoben hat. Nach § 80 II 1 Nr. 1 VwGO hat dieser keine aufschiebende Wirkung, sodass für A die Zahlungsfrist des Bescheids bestehen bleibt. Daher zahlt er die 200 Euro unter Vorbehalt. Die Anfechtungsklage richtet sich hierbei gegen den Bußgeldbescheid. Hat die Klage Erfolg, wird dieser aufgehoben. Hierdurch erhält A aber sein Geld nicht zurück. Um einen erneuten Prozess zur Durchsetzung seines materiellen Anspruchs auf Rückzahlung der 200 Euro zu vermeiden, kann er bereits zusammen mit der Anfechtungsklage einen Annexantrag auf Rückzahlung von 200 Euro, also der Beseitigung der Vollzugsfolgen (Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch), nach § 113 I 2 VwGO stellen.
2. § 113 IV VwGO
Zitat
§ 113 IV VwGO:
"Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig."
Der Unterschied zum Antrag nach § 113 I 2 VwGO ist hier, dass es hier nicht um die Rückgängigmachung eines Vollzugs geht, da die begehrte Leistung nie in der Sphäre des Antragstellers bestand. Auch hier entsteht der materielle Leistungsanspruch erst mit Rechtskraft des Anfechtungsurteils.
III. Prüfung
Bei dem Annexantrag handelt es sich um einen Fall der objektiven Klagehäufung, genauer um eine besondere Stufenklage. Weitere besondere Sachurteilsvoraussetzungen sind nicht zu prüfen.
Der Annexantrag ist insoweit erfolgreich, als der Kläger (materiell-rechtlich) einen Anspruch auf Wiederherstellung des ursprünglichen (rechtmäßigen) Zustands hat, der vor der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes bestand.
Die Prüfung beginnt nach der Prüfung der Anfechtungsklage und der Feststellung der objektiven Klagehäufung auf der “dritten Ebene”, also als zweiter, eigenständig zu prüfender Teil derselben Klage.
1. Zulässigkeit
a) Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
b) Statthafte Klageart
Allgemein kann es sich bei dem Antrag um einen Verpflichtungs- oder einen Leistungsannexantrag handeln. Dies bestimmt sich danach, ob die Rückgängigmachung des Vollzugs durch einen Verwaltungsakt oder durch Realakt, also schlichtes Verwaltungshandeln, erfolgen muss. Hintergrund ist die Verpflichtung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes des Art. 19 IV GG. Voraussetzung ist, dass der Verwaltungsakt bereits vollzogen wurde.
Zitat
§ 113 IV VwGO:
"Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig."
c) Klagebefugnis, § 42 II VwGO (analog)
Es muss die Möglichkeit einer Aufhebung des Verwaltungsakts bestehen. Hintergrund ist, dass mit der Aufhebung des Verwaltungsakts der Rechtsgrund des Vollzugs entfällt.
d) Klagegegner, § 78 VwGO (analog)
Bei Verpflichtungsklagen ist § 78 VwGO wie gewohnt direkt anzuwenden.
Besonderheit im Rahmen des Annexantrags ist, dass im Falle eines Leistungsbegehrens, entgegen der eigentlichen Grundsätze der Leistungsklage, § 78 VwGO hier analog anzuwenden ist und nicht nur auf das Rechtsträgerprinzip abzustellen ist.
e) Tatsächliche Möglichkeit der Vollzugsfolgenbeseitigung
Zitat
§ 113 I 3 VwGO:
“Dieser Ausspruch [auf Rückgängigmachung der Vollziehung] ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage ist und diese Frage spruchreif ist.”
Hier wird auf das materielle Recht zurückgegriffen und die materielle Voraussetzung “dazu in der Lage [...] ist” zur prozessualen Zulässigkeitsvoraussetzung erklärt. Es muss also eine tatsächliche Möglichkeit der Vollzugsfolgenbeseitigung bestehen.
Merke
Weitere besondere Sachurteilsvoraussetzungen sind nicht zu prüfen. Die Prüfung der allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen entfällt beim Annexantrag, da deren Vorliegen bereits im Rahmen des ersten Teils der Klage festgestellt wurde.
2. Begründetheit
Der Antrag nach § 113 I 2 VwGO ist begründet, wenn ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Vollzugsfolgen besteht und die Sache spruchreif ist.
a) Anspruch auf Rückgängigmachung
Der Anspruch besteht, wenn kein Rechtsgrund für den Vollzug (mehr) besteht. Da der Verwaltungsakt rechtswidrig war und deshalb vom Verwaltungsgericht aufzuheben ist, kann dieser keinen Rechtsgrund (mehr) für die weitere Aufrechterhaltung der Vollzugsfolgen darstellen.
b) Spruchreife
Gemäß § 113 I 3 VwGO muss die Sache spruchreif sein.
Definition
Spruchreife bedeutet, dass alle tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für eine abschließende gerichtliche Entscheidung über das Klagebegehren gegeben sind. An der Spruchreife fehlt es insbesondere, wenn der Behörde auch nach Feststellung von Rechtswidrigkeit und Rechtsverletzung noch ein selbstständiger Entscheidungsfreiraum verbleibt.
Es darf also nur eine mögliche Art der Folgenbeseitigung bestehen.
Merke
In unserem Beispiel von oben wäre dies die Rückzahlung der 200 Euro an A. Hierzu wird das Verwaltungsgericht die Behörde auch verurteilen, weil wegen fehlender Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Formen der Vollzugsfolgenbeseitigung die Sache nach § 113 I 3 VwGO spruchreif ist. Damit ist der Antrag gemäß § 113 I 2 VwGO begründet.