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Anfechtung

Anfechtung gemäß §§ 119, 120 BGB

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Thema

Anfechtung

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Anfechtung
Inhaltsirrtum
Kalkulationsirrtum
Rechtsfolgenirrtum
Übermittlungsirrtum
§ 119 BGB
§ 120 BGB
Gliederung
  • I. Inhaltsirrtum (§ 119 I Var. 1 BGB)

    • 1. Definition

    • 2. Sonderfälle des Inhaltsirrtums

      • a) Anfechtung von Schweigen

      • b) Rechtsfolgenirrtum

      • c) Kalkulationsirrtum

      • d) Unterschriftsirrtum

      • e) Identitätsirrtum

      • f) Risikoerklärung

  • II. Erklärungsirrtum (§ 119 I Var. 2 BGB)

  • III. Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB)

  • IV. Falsche Übermittlung, § 120 BGB

§ 119 I, II BGB enthält drei verschiedene Arten von Irrtümern, aufgrund derer angefochten werden kann. § 120 BGB wiederum verweist für die Anfechtbarkeit entsprechend auf § 119 BGB.

I. Inhaltsirrtum (§ 119 I Var. 1 BGB)

1. Definition

Definition

Bei einem Inhaltsirrtum handelt es sich um einen Irrtum über die Bedeutung des gesetzten Erklärungszeichens.

Der Inhaltsirrtum wird auch Bedeutungsirrtum genannt. Er zeichnet sich dadurch aus, dass der Erklärende über die Bedeutung des von ihm gesetzten Erklärungszeichens (also etwa einer konkreten Formulierung) irrt.

Beispiel

Die Konrektorin einer Schule bestellt 25 Gros Rollen Toilettenpapier, wobei sie davon ausgeht, dass ein Gros einem Dutzend entspricht. In Wirklichkeit ist ein Gros aber gleich 12 Dutzend. Es werden 3600 Rollen Toilettenpapier geliefert. Sie kann ihre Erklärung nach § 119 I Fall 1 BGB anfechten.

2. Sonderfälle des Inhaltsirrtums

Im Zusammenhang mit dem Inhaltsirrtum können folgende Sonderprobleme auftreten:

a) Anfechtung von Schweigen

Problem

Die Anfechtung kann nur scheinbar gewollte Rechtsfolgen vernichten. Soweit Schweigen unabhängig vom Parteiwillen kraft Gesetzes/ Gewohnheitsrechts/ Vereinbarung Rechtswirkungen auslöst, ist eine Anfechtung nach herrschender Meinung ausgeschlossen. Nach einer differenzierenden Ansicht gilt, dass derjenige, der die rechtliche Relevanz seines Schweigens verkennt, nicht anfechten kann. Damit berechtigt ein Irrtum über die Rechtserheblichkeit des Schweigens nicht zur Anfechtung.

Beispiel 1

Kaufmann K weiß nicht, dass es zu einem Vertragsschluss führt, wenn er auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben schweigt.  Der Willensmangel ist aber relevant, wenn er im Fall einer rechtsgeschäftlichen Einigung beachtlich wäre.

Eine Anfechtungsmöglichkeit nach § 119 I Var. 1 BGB analog soll bestehen, wenn die Erklärung der anderen Partei missverstanden wurde und nur aus diesem Grund geschwiegen wurde. Die Anfechtung ist also möglich, wenn zwar die Bedeutung des Schweigens bekannt war, aber im Hinblick auf die Erklärung ein Irrtum vorliegt. Hierfür spricht, dass der Schweigende, der sich über die Bedeutung seines Schweigens im Klaren ist, sonst schlechter gestellt würde als derjenige, der ausdrücklich seine Zustimmung mit dem Erklärungsinhalt erklärt hat. 

Beispiel 2

Kaufmann K weiß, dass sein Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben zu einem Vertragsschluss führt. Er möchte auch mit dem Absender einen Vertrag schließen. Er hat jedoch einen Teil im Bestätigungsschreiben falsch verstanden und unterlag damit einem Inhaltsirrtum. 

Für die Anfechtungsmöglichkeit in derartigen Fällen spricht auch, dass das kaufmännische Bestätigungsschreiben vor dem Risiko der Ungewissheit und nicht vor etwaigen Willensmängeln schützen soll.

b) Rechtsfolgenirrtum

Problem

Bei einem Irrtum über die Rechtsfolgen eines Geschäfts ist zu differenzieren, was genau Irrtumsgegenstand ist.

  • Irrt sich der Erklärende über Rechtsfolgen, die unmittelbar mittels der Erklärung herbeigeführt werden sollten (zum Beispiel über die Pflichten aus dem Vertrag, der abgeschlossen werden soll), liegt ein Inhaltsirrtum im Sinne des § 119 I Var. 1 BGB vor.

  • Irrt sich der Erklärende über Rechtsfolgen, die ungeachtet des Parteiwillens ex lege (= nach dem Gesetz) an das Rechtsgeschäft geknüpft sind (zum Beispiel über die Mängelgewährleistung), liegt ein unbeachtlicher Motivirrtum vor. Es besteht kein Anfechtungsgrund.

c) Kalkulationsirrtum

Merke

Auch bei einem Kalkulationsirrtum ist zu differenzieren: Man unterscheidet zwischen dem offenen und dem verdeckten Kalkulationsirrtum.

  • Beim verdeckten Kalkulationsirrtum wird die Kalkulation dem Empfänger nicht offengelegt. Es handelt sich um einen unbeachtlichen Motivirrtum, der nicht zur Anfechtung berechtigt. Die verdeckte Kalkulation fällt ausschließlich in die Risikosphäre des Erklärenden, sodass die Anfechtung ihretwegen ausgeschlossen ist. Der Erklärung des Ergebnisses der Kalkulation haftet kein Fehler an. Die fehlerhafte Berechnung wird fehlerfrei erklärt.

  • Beim offenen Kalkulationsirrtum wurde die Kalkulation in die Erklärung aufgenommen. Handelt es sich um einen evidenten Kalkulationsfehler, kann der Inhalt der Willenserklärung gegebenenfalls durch Auslegung ermittelt werden. Damit kann der Inhalt abweichend vom Wortlaut der Erklärung durch Auslegung des wahren Willens ermittelt werden. Es wird dann angenommen, dass eine bestimmte Berechnungsmethode als vereinbart gilt und derjenige Betrag, der bei fehlerfreier Anwendung dieser Methode ermittelt wird, übereinstimmend gewollt war. Eine Anfechtung ist dann überflüssig.

Beispiel

A und B vereinbaren, dass B 30 h für A arbeiten soll. Sie einigen sich auf einen Stundenlohn von 15 € pro Stunde. Im Vertrag wird der Gesamtlohn aber aufgrund eines Kalkulationsirrtums mit 400 € beziffert. Es ist ersichtlich, dass beide Vertragsparteien den Willen hatten, dass der Gesamtlohn berechnet wird, indem man von 15 € die Stunde ausgeht. 

Merke

Im Ergebnis kann weder beim verdeckten noch beim offenen Kalkulationsirrtum angefochten werden. 

d) Unterschriftsirrtum

Problem

Ein Unterschriftsirrtum ist gegeben, wenn jemand eine Urkunde unterschreibt, deren Inhalt er nicht oder nicht richtig erfasst hat. Dieser Irrtum kann unterschiedlich einzuordnen sein. Hat der Unterzeichnende etwa verschiedene Urkunden verwechselt, handelt es sich um einen Erklärungsirrtum im Sinne des § 119 I Var. 2 BGB.

  • Hat der Unterzeichnende den Inhalt der Urkunde falsch verstanden, unterliegt er einem Inhaltsirrtum nach § 119 I Var. 1 BGB.

  • Ist der Fall einschlägig, dass sich der Unterzeichnende keinerlei Vorstellungen vom Inhalt der Urkunde macht und diese ungelesen unterschreibt, scheidet ein Anfechtungsgrund aus. Mangels (Fehl-)Vorstellungen fehlt es schon an einem Irrtum. Der Inhalt wird in Kauf genommen.

e) Identitätsirrtum

Merke

Der Identitätsirrtum stellt einen Unterfall des Inhaltsirrtums im Sinne des § 119 I Var. 1 BGB dar. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass das verwendete Erklärungszeichen einen bestimmten Menschen (error in persona) oder einen Gegenstand (error in objecto) bezeichnen soll und aus der Sicht eines vernünftigen Empfängers jemanden anderen / etwas anderes bezeichnet.

Beispiel 1

X will Installateur A. Müller beauftragen, beauftragt jedoch versehentlich Installateur B. Müller. Die Erklärung des X bezieht sich nach ihrem objektiven Inhalt auf Installateur B. Müller, obwohl der Vertrag nach dem Willen des X mit A. Müller geschlossen werden sollte.

Beispiel 2

 X verkauft sein "im Stall stehendes Pferd"; es steht jedoch gerade ein anderes Pferd im Stall. Damit hat er den Gegenstand des Geschäfts falsch bezeichnet.

f) Risikoerklärung

Merke

Wer eine Risikoerklärung abgibt, indem er etwa die Annahme eines Antrags erklärt, ohne zu wissen, wie das Angebot auszulegen ist, muss das objektiv Erklärte gegen sich gelten lassen und kann nicht anfechten. Auch hier gilt: wer zweifelt, irrt nicht.

II. Erklärungsirrtum (§ 119 I Var. 2 BGB)

Neben dem Inhaltsirrtum normiert der § 119 I BGB auch einen Anfechtungsgrund in Gestalt des Erklärungsirrtums.

Definition

Bei dem Erklärungsirrtum nach § 119 I Fall 2 BGB handelt es sich um einen Irrtum beim Erklärungsakt. Der Erklärende setzt ein anderes als das gewollte Erklärungszeichen.

Typische Beispiele sind Versprechen, Vergreifen, Verschreiben.

III. Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB)

In § 119 II BGB befindet sich ein weiterer Anfechtungsgrund, nämlich der Eigenschaftsirrtum.

Definition

Der Eigenschaftsirrtum ist als Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person oder Sache definiert. 

Er stellt einen Irrtum bei der Willensbildung dar. Es handelt sich um einen Motivirrtum, der sich auf verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person oder Sache bezieht. Ein solcher Motivirrtum ist ausnahmsweise beachtlich und berechtigt zur Anfechtung.

Definition

Unter Eigenschaften sind die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die dauerhaft sind und eine Person oder Sache unmittelbar kennzeichnen, zu verstehen.

Eigenschaften einer Person sind zum Beispiel Vertrauenswürdigkeit, Zuverlässigkeit, Sachkunde. Mangels Dauerhaftigkeit stellt aber beispielsweise eine Schwangerschaft keine Eigenschaft dar.

Als Sacheigenschaften sind alle wertbildenden Faktoren mit Ausnahme des Wertes selbst anzusehen.

Das Fehlen einer bestimmten Eigenschaft kann dennoch in Einzelfällen nicht zur Anfechtung berechtigen. Dies ist dann der Fall, wenn die Eigenschaft sich gerade auf das typische Vertragsrisiko bezieht.

Beispiel

Ein Bürge kann seine Bürgschaftserklärung wegen Irrtums nicht anfechten, weil er den Hauptschuldner irrtümlich für zahlungsfähig gehalten hat. Der Zweck der Bürgschaft liegt in der Sicherung der Hauptschuld. Die wirkliche Vermögenslage des Hauptschuldners gehört zum typischen Vertragsrisiko des Bürgen. Dies wissen auch beide Parteien. Die Übernahme dieses Risikos kann nicht nachträglich durch eine Irrtumsanfechtung vereitelt werden. Aus diesem Grund ist eine solche ausgeschlossen. 

Der Wert einer Sache stellt keine verkehrswesentliche Eigenschaft dar, weil das Auseinanderfallen von objektivem Wert und Kaufpreis zum Vertragsrisiko des Käufers gehört, welches nicht durch eine Anfechtung auf den Verkäufer verlagert werden soll.

Im Rahmen des § 119 II BGB werden nur unmittelbare Sacheigenschaften relevant. Mittelbare Eigenschaften, wie die Zahlungsfähigkeit des Mieters der gekauften Mietwohnung, bleiben außer Betracht. Unmittelbare Sacheigenschaft sind etwa Qualität, Material, Größe, Herkunft, Herstellungsdatum, Fahrleistung

IV. Falsche Übermittlung, § 120 BGB

Gemäß § 120 BGB wird die Anfechtungsmöglichkeit bei einer unrichtig übermittelten Willenserklärung eingeräumt. Hierbei verweist die Norm auf § 119 BGB - es handelt sich ebenfalls um eine Divergenz von Wille und Erklärung. § 120 BGB ist auf die Übermittlung von Erklärungen durch einen Erklärungsboten anwendbar. Die Norm gilt auch, wenn der Erklärungsbote die Willenserklärung versehentlich einem falschen Empfänger zuleitet. Demgegenüber besteht kein Anfechtungsgrund nach § 120 BGB, wenn ein Empfangsbote des Empfängers die Willenserklärung unrichtig übermittelt. Es handelt sich um ein Risiko des Empfängers. Handelt statt einem Boten ein Stellvertreter, findet § 120 BGB ebenfalls keine Anwendung. 

Nach § 166 I BGB kommt es für die Anfechtbarkeit auf etwaige Irrtümer des Vertreters an - wenn also ein Vertreter für einen Vertretenen eine Willenserklärung abgibt und diese durch einen Erklärungsboten abgeben lässt, kommt es auf den Wissensstand des Vertretenen an.

Weiterhin ist § 120 BGB nicht einschlägig, wenn ein sogenannter Pseudobote handelt, der die Willenserklärung erfunden oder bewusst verfälscht hat. Stattdessen sind die §§ 177 ff. BGB analog anzuwenden, da der Bote insofern eine eigene Willenserklärung abgibt und nicht diejenige, um deren Übermittlung er gebeten wurde. Es fehlt an einer Willenserklärung des vermeintlich Erklärenden.

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