Dieser Artikel befasst sich mit der Beleidigung nach § 185 StGB. § 185 StGB besitzt hohe Examensrelevanz, da sie sich für einen eigenen Tatkomplex anbieten. Auch die stetige Aktualität der Frage, ob Äußerungen von Satirikern oder Kabarettisten eine Beleidigung oder anderweitige Ehrverletzung darstellen oder unter die Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1 Var. 1 GG) beziehungsweise Pressefreiheit (Art. 5 I 2 Var. 1 GG) fallen, machen die §§ 185 ff. StGB zu geeignetem Klausurmaterial.
I. Allgemeines
Die Beleidigung nach § 185 StGB führt den 14. Abschnitt des StGB “Beleidigung” an. Geschütztes Rechtsgut ist die Ehre.
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Ehre ist der persönliche und gesellschaftliche Geltungswert, der einem Menschen kraft seines Menschseins und seines sozialen Wirkens zukommt.
Hierbei handelt es sich um den sogenannten “dualistischen Ehrbegriff”. Dieser umfasst sowohl die innere Ehre (vgl. Art. 1 GG, Würde, Selbstachtung) als auch die äußere Ehre (Reputation: Geltung und Ruf innerhalb der Gesellschaft).
Bei den Ehrdelikten handelt es sich um sogenannte absolute Antragsdelikte, was bedeutet, dass eine Strafverfolgung nicht von Amts wegen vorgenommen wird, sondern nur auf Antrag des Berechtigten, vgl. § 194 StGB.
Grundsätzlich können nur solche Äußerungen als Ehrverletzung gewertet werden, die:
1. unwahr oder nicht erwiesen wahr sind
Ausnahme: Beleidigung trotz Wahrheitsbeweises (§ 192 StGB), sogenannte Formalbeleidigungen
und
2. die auch innerhalb der Rechtsgemeinschaft als negativ bewertet werden.
Es kommt als nicht darauf an, ob sich der Adressat der Äußerung nur subjektiv beleidigt fühlt oder der Adressat die Äußerung überhaupt intellektuell erfassen kann (so liegt eine Ehrverletzung auch dann vor, wenn ein Kind mit einem Schimpfwort beleidigt wird, das das Kind gar nicht kennt oder versteht).
1. Systematik der Ehrdelikte
Zunächst lohnt sich ein Blick auf die Systematik der Ehrdelikte sowie auf ihren Telos.
Um diese zu verstehen, ist es wichtig zu wissen,
was der Unterschied zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil ist,
zwischen welchen Adressaten die Normen unterscheiden,
welche Tatopfer in Betracht kommen und
was Qualifikationen und was Grundtatbestände innerhalb der Beleidigungsdelikte sind.
a) Tatsachenbehauptung vs. Werturteil
Elementar für das Wissen um die Anwendbarkeit der jeweiligen Beleidigungsdelikte ist die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil.
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Diese Unterscheidung ist auch bei der Frage elementar, welche Arten von Äußerungen in den sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 I 1 Hs. 1 GG fallen.
aa) Tatsachenbehauptung
Definition
Tatsachenbehauptungen sind dem Beweis zugängliche, objektiv überprüfbare Aussagen über vergangene oder gegenwärtige Umstände der Innen- oder Außenwelt.
Beispiel
Äußerungen über die Außenwelt:
“Vater V hat gestern sein Kind K zusammengeschlagen, weil es geschwänzt hat.”
“X hat Y umgebracht.”
→ Solche Aussagen sind unmittelbar überprüfbar – z. B. durch Zeugen, Videoaufnahmen, Spuren etc.
→ Es kann also klar gesagt werden, ob diese Umstände erweislich unwahr oder erweislich wahr sind
Äußerungen über die Innenwelt:
„Mutter M hat es gutgeheißen, dass Vater V das Kind geschlagen hat.“
“X wollte den Y töten!”
→ Diese Aussagen betreffen innere Einstellungen, Absichten oder Motivlagen und sind nur mittelbar, also über Indizien wie Verhalten, Reaktionen oder Aussagen überprüfbar.
→ Im Strafrecht ist z. B. auch der Vorsatz stets nur indiziengestützt belegbar – etwa über Tathergang, Vorbereitungen oder Konflikte im Vorfeld (kein Richter kann die Gedanken des Angeklagten lesen).
Merke
Wichtig: Auch wenn Aussagen über die Innenwelt schwer zu beweisen sind, sind sie dem Beweis grundsätzlich zugänglich – und damit Tatsachenbehauptungen.
Allerdings gilt:
Innere Tatsachen lassen sich häufig nicht sicher widerlegen, weshalb entsprechende Äußerungen in der Praxis meist nicht „erweislich unwahr“ im Sinne des § 187 StGB sind – sondern lediglich „nicht erweislich wahr“.
→ Daher fällt diese Fallgruppe typischerweise unter § 186 StGB (Üble Nachrede (Näheres dazu weiter unten.)
bb) Werturteile
Definition
Ein Werturteil ist eine subjektive Meinungsäußerung, die durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist und nicht objektiv beweisbar ist.
Beispiel
Werturteil geenüber dem Betroffenen: “Du bist so dermaßen dämlich, dass es weh tut!”
Werturteil gegenüber Dritten: “Herr X ist so dermaßen dämlich, dass es weh tut!”
b) Adressat der Äußerung
Ebenfalls wichtig ist die Frage, an wen sich die ehrverletzende Äußerung richten muss – also wer nach dem jeweiligen Tatbestand der Adressat sein soll.
§ 186 StGB (Üble Nachrede) erfasst nur Äußerungen gegenüber Dritten. Der Täter behauptet oder verbreitet eine nicht erweislich wahre Tatsache über eine andere Person – aber nicht gegenüber dem Betroffenen selbst, sondern gegenüber einer dritten Person.
§ 187 StGB (Verleumdung) gilt ebenso nur im Drittbezug. Auch hier muss sich die bewusst unwahre Tatsachenbehauptung gegen den Betroffenen richten, aber äußerlich gegenüber einem Dritten erfolgen.
→ Beide Vorschriften schützen damit vor allem die äußere Ehre – also den sozialen Geltungswert einer Person in den Augen anderer (dualistischer Ehrbegriff siehe oben)
Demgegenüber gilt:
§ 185 StGB (Beleidigung) ist weiter gefasst. Er erfasst auch Äußerungen gegenüber dem Betroffenen selbst – also auch dann, wenn niemand Drittes die Äußerung mitbekommt. Der Schutz richtet sich hier nicht nur auf die äußere, sondern auch auf die innere Ehre, also das persönliche Selbstwertgefühl des Betroffenen.
c) Tatopfer
Die §§ 185 bis 189 StGB unterscheiden nicht nur zwischen den Adressaten der Äußerung, sondern auch hinsichtich der Tatopfer:
§§ 185, 186, 187 StGB: lebende Menschen, Personengruppen
§ 188 StGB: eine Person des politischen Lebens (sogenannte Politikerbeleidigung)
§ 189 StGB: tote Menschen
d) Grundtatbestände und Qualifikationen
Zuletzt muss man sich noch vor Augen führen, was die Grundtatbestände und was die Qualifikationstatbestände der Ehrdelikte sind.
Die tätliche Beleidigung gemäß § 185 Alt. 2 StGB ist der Qualifikationstatbestand der “normalen” Beleidigung gemäß § 185 Alt. 1 StGB (Grundtatbestand).
Die “öffentliche” üble Nachrede gemäß § 186 Alt. 2 StGB ist der Qualifikationstatbestand zur “normalen” üblen Nachrede gemäß § 186 Alt. 1 StGB (Grundtatbestand).
Die Deliktsnatur der „normalen“ Verleumdung nach § 187 Alt. 1 StGB ist umstritten. Nach herrschender Meinung kommt ihr eine Doppelrolle zu:
§ 187 Alt. 1 StGB ist zum einen der Qualifikationstatbestand zu § 186 Alt. 1 StGB. Die üble Nachrede gemäß § 186 Alt. 1 StGB ist demnach Grundtatbestand für die “öffentliche” üble Nachrede nach § 186 Alt. 1 StGB und für die Verleumdung nach § 187 Alt. 1 StGB)
Zum anderen ist die “normale” Verleumdung nach § 187 Alt. 1 StGB gleichzeitig der Grundtatbestand zur Qualifikation “öffentliche” Verleumdung nach § 187 Alt. 2 StGB.
Merke
Einige Stimmen sehen § 187 Alt. 1 StGB nur als Grundtatbestand und nicht als Qualifikation zu § 186 Alt. 1 StGB. Der Streit ist aber rein dogmatischer Natur. Relevant ist die Einordnung nur für die Frage der Konkurrenzen. Hier tritt die üble Nachrede (§ 186 Alt. 1 StGB) aber ohnehin im Wege der Spezialität hinter der Verleumdung (§ 187 Alt. 1 StGB) zurück. Ob sie dabei gleichzeitig eine Qualifikation darstellt, ist nicht von Bedeutung.
Die Formalbeleidigung nach §§ 192, 185; 186; 187 StGB ist eine Tatbestandserweiterung zu den Grundtatbeständen (§§ 185 -187 StGB).

2. Prüfungsschema

II. Beleidigungsfähiges Tatobjekt
Beleidigungen können sich nicht nur gegen Einzelpersonen richten. Entscheidend ist, ob das betroffene Tatobjekt Träger der Ehre im strafrechtlichen Sinn ist.
Natürliche Personen:
Jeder lebende Mensch ist beleidigungsfähig – unabhängig von Alter, Gesundheitszustand oder Schuldfähigkeit. Auch Kinder oder Geisteskranke sind vom Ehrschutz erfasst.
Personenmehrheiten (Kollektivbeleidigung):
Gruppen sind nur beleidigungsfähig, wenn sie als einheitlich strukturierte Gemeinschaft einen einheitlichen Willen bilden können, nicht vom Mitgliederwechsel abhängig sind und eine anerkannte soziale Funktion erfüllen.
Beleidigung einzelner Mitglieder unter Kollektivbezeichnung:
Wird eine abgrenzbare Gruppe unter einer Sammelbezeichnung herabgewürdigt, kann dies auch eine Beleidigung jedes Einzelnen sein – vorausgesetzt, der Täter bezieht seine Aussage erkennbar auf alle Mitglieder dieser Gruppe.
III. Tathandlung: Beleidigen
Definition
Beleidigen meint den Angriff auf die Ehre einer Person durch die Kundgabe von Missachtung oder Nichtachtung.
Diese Missachtung kann durch beleidigendes Werturteil oder Tatsachenbehauptung kundgetan werden. Konkret bleibt nach dem Anwendungsbereich der §§ 186, 187 StGB folgender Anwendungsbereich für § 185 StGB übrig:
IV. Tatmittel
1. Äußerung von Werturteilen gegenüber dem Verletzten
Entweder verbal oder durch Gesten (etwa Stinkefinger) gegenüber dem Verletzten.
Beispiel
“Du bist ein mieses Arschloch!”
2. Äußerungen von Werturteilen in Beziehung auf abwesende Personen
Beispiel
“Der Peter ist ein mieses Arschloch!”
3. Ehrverletzende Tatsachenbehauptungen gegenüber Betroffenen
Ehrverletzende Tatsachenbehauptungen werden nicht nur durch §§ 186, 187 StGB erfasst, sondern auch durch § 185 StGB. Wichtig ist, dass die ehrverletzende Tatsache gegenüber dem Betroffenen selbst geäußert wird, insofern sie gegenüber Dritten geäußert wird, ist hier der Anwendungsbereich von § 186 StGB (nicht erweislich wahr) beziehungsweise § 187 StGB (erwiesen unwahr) eröffnet.
Weiterhin ist zu beachten, dass die Tatsachenbehauptung unwahr sein muss. Das ergibt sich daraus, dass § 192 StGB bereits den konträren Fall der wahren, aber dennoch beleidigenden Tatsachenbehauptung abdeckt.
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§ 185 StGB ist also der Auffangtatbestand. An ihn sollte stets gedacht werden, wenn andere Beleidigungsdelikte scheitern.
4. Formalbeleidigung, §§ 185, 192 StGB
Zur Erweiterung des Tatbestandes auf wahre, aber beleidigende Tatsachenbehauptungen siehe den Artikel zu § 192 StGB.

Merke
Allgemeine Unhöflichkeiten oder Distanzlosigkeiten fallen nicht unter § 185 StGB, sofern kein abwertender Charakter vorliegt.
→ Bloße Persönlichkeitsverletzungen ohne abwertende Aussage sind straflos.
Familieninterne Beleidigungen sind aufgrund einer teleologischen Reduktion vom Anwendungsbereich des § 185 StGB ausgenommen – insbesondere im engsten Familienkreis.
Die h.M. argumentiert, dass der Mensch eine Rückzugsmöglichkeit benötigt, in der er sich offen und ohne drohende Sanktionen äußern darf.
V. Subjektiver Tatbestand
Hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes ist dolus eventualis ausreichend. Einer besonderen Beleidigungsabsicht (”…um zu beleidigen”) bedarf es nicht.
VI. Rechtswidrigkeit
Im Rahmen der Rechtswidrigkeit ist insbesondere der ehrdeliktsspezifische Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB zu beachten.
VII. Schuld
Im Rahmen der Schuld sind keine Besonderheiten zu beachten.
VIII. Qualifikation: Tätliche Beleidigung (§ 185 Alt. 2 StGB)
Definition
Eine tätliche Beleidigung liegt vor, wenn der Täter eine unmittelbar körperlich spürbare Einwirkung auf das Opfer vornimmt, um seine Missachtung oder Herabwürdigung zum Ausdruck zu bringen.
Beispiel
A fühlt sich von B in seinem Lieblingsclub provoziert. Er geht auf B zu, schiebt ihn mit der Hand an der Brust mehrfach zurück und fragt dabei provozierend: „Was ist dein Problem?“
Merke
Eine Tätlichkeit liegt also auch schon dann vor, wenn die Erheblichkeitsschwelle des § 223 StGB noch nicht überschritten ist.
Weitere Beispiele:
A spuckt B an.
A bespritzt den B mit seinem in eine Einwegspritze aufgezogenes Ejakulat. (BeckRS 2011, 19102)
IX. Strafantragserfordernis (§ 194 StGB)
Wie bereits zu Beginn erwähnt, muss ein Strafantrag gestellt worden sein, damit eine Prüfung der Täter in der Klausur vorgenommen werden kann.