Dieser Artikel befasst sich mit der falschen uneidlichen Aussage nach § 153 StGB. § 153 StGB besitzt hohe Examensrelevanz. Aussagedelikte sind grundsätzlich sehr beliebt in Examensklausuren und finden meist durch einen gesonderten Tatkomplex Einzug in die Prüfung.
I. Allgemeines
Die falsche uneidliche Aussage nach § 153 StGB führt den 9. Abschnitt des StGB “Falsche uneidliche Aussage und Meineid” an. Geschütztes Rechtsgut ist die staatliche Rechtspflege. Die Aussagedelikte im Allgemeinen sind reine Tätigkeitsdelikte, was bedeutet, dass kein tatbestandlicher Erfolg vorgegeben ist. Das Gericht muss also nicht tatsächlich durch eine Falschaussage getäuscht worden sein. Hinzu kommt, dass die §§ 153 ff. StGB eigenhändige Delikte sind, weil der Täter die Falschaussage selbst tätigen muss, sodass eine mittäterschaftliche Zurechnung oder mittelbare Täterschaft nicht möglich ist. § 153 StGB kommt darüber hinaus eine Sonderstellung zu, da es wegen des begrenzten Täterkreises ein Sonderdelikt ist; nur Zeugen oder Sachverständige können Täter sein. Das gilt für §§ 154, 156 StGB nicht.
Klausurtipp
Der Gesetzgeber hat es trotzdem für notwendig erachtet, dass die mittelbare Täterschaft bei Aussagedelikten strafbewährt ist, obwohl es sich um ein eigenhändiges Delikt handelt. Daher hat er § 160 StGB geschaffen.
Besonderheiten ergeben sich vor allem aus der Struktur der Aussagedelikte. So gibt es neben der Qualifikation des § 154 StGB eigenständige Regelungen zur Teilnahme sowie angeordnete Fahrlässigkeitsstrafbarkeit.


Prüfungsschema

II. Täter: Zeuge oder Sachverständiger
Täter kann nur ein Zeuge oder ein Sachverständiger sein. Insofern handelt es sich um ein Sonderdelikt. Beschuldigte im Strafprozess und Parteien eines Zivilprozesses scheiden hier ebenso aus, wie der Betroffene im Untersuchungsausschuss. Auch der Dolmetscher soll als Verfahrensbeteiligter sui generis (vgl. § 185 GVG) nicht erfasst sein.
III. Adressat: Zuständige Stelle
Es muss sich um eine staatliche Stelle handeln und die Zuständigkeit dieser Stelle für die eidliche Vernehmung muss gerade für das fragliche Verfahren gesetzlich vorgesehen sein.
Merke
Zuständig für die eidliche Vernehmung sind vor allem staatliche (nicht private) Gerichte sowie parlamentarische Untersuchungsausschüsse!
Nicht zuständig sind insbesondere die Staatsanwaltschaft oder Polizei (vgl. § 161a I 3 StPO), Referendare und Rechtspfleger.
Beachte: Geht der Betroffene davon aus, dass die Staatsanwaltschaft auch zur Abnahme von Eiden zuständig sei, so ist die Annahme eines straflosen Wahndeliktes gut vertretbar.
IV. Tathandlung: Falschaussage
1. Aussage
Definition
Aussage i.S.d. §§ 153 ff. StGB sind nur mündliche/ausdrückliche Erklärungen, die unmittelbar gegenüber der Vernehmenden gemacht worden sind. Nicht erfasst sind also schriftliche Zeugenaussagen oder Sachverständigengutachten!
2. Falschheit
Die Frage der Falschheit der Aussage muss von der Frage der Reichweite der Wahrheitspflicht abgegrenzt werden.
a) Problem: Wann ist eine Aussage falsch?
Merke
Wann ist eine Aussage falsch im Sinne der §§ 153 ff. StGB?
Die subjektive Theorie geht davon aus, dass es aufgrund der menschlichen Unvollkommenheit hinsichtlich des sinnlichen Erfassens sowie der Beeinflussung von Erinnerungen durch äußere Umstände immer nur auf das Auseinanderfallen von Wort und Wissen ankomme. Falsch ist eine Aussage also dann, wenn sie nicht mit dem Vorstellungsbild des Aussagenden übereinstimmt.
Nach der Pflichttheorie ist eine Aussage hingegen auch dann falsch, wenn sie nicht das wiedergibt, was der Aussagende bei kritischer Prüfung seiner Erinnerung hätte erlangen könne. Gemeint ist also das Auseinanderfallen von Wort und möglichem Wissen.
Die objektive Theorie (h.M.) hingegen geht davon aus, dass es auf das Auseinanderfallen von Wort und Wirklichkeit ankommt. Falsch ist eine Aussage also dann, wenn sie ungeachtet der Erinnerung des Aussagenden nicht mit der Realität übereinstimmt.
Stellungnahme: Die h.M. überzeugt. Nach der subjektiven Theorie macht sich der Aussagende selbst dann strafbar, wenn er objektiv die Wahrheit spricht, aber etwas anderes in Erinnerung hat. Nach der Pflichttheorie ist eine Abgrenzung von vorsätzlicher und fahrlässiger Falschaussage (§ 161 StGB) nicht mehr möglich, wenn die Falschheit der Aussage schon mit einem pflichtwidrigen Verhalten begründet wird. Die objektive Theorie liefert die passgenaueren Ergebnisse. Sagt der Täter etwa objektiv etwas Falsches aus, ist er aber davon überzeugt, dass diese Aussage der Realität entspricht, so fehlt ihm der Vorsatz.
b) Gegenstand der Aussage
Fraglich ist sodann noch der Gegenstand der Aussage, auf den sich die Wahrheitspflicht bezieht:
Gegenstand der Aussage können äußere und innere Tatsachen, beim Sachverständigen auch Werturteile sein. Der Gegenstand der Vernehmung ergibt sich im Strafprozess aus dem Vertrautmachen des Zeugen mit dem Untersuchungsgegenstand (§ 69 StPO), im Zivilprozess aus dem Beweisbeschluss (§§ 358, 359 ZPO).
Im Gegensatz zum Sachverständigen bezieht sich die Wahrheitspflicht des Zeugen auch auf die Angaben zur Person (vgl. § 68 StPO, § 395 ZPO)!
Achtung: Der Aussagende hat ungefragt alle Tatsachen zu äußern, die mit dem Gegenstand der Vernehmung in untrennbarem Zusammenhang stehen und für das Beweisthema erkennbar von Bedeutung sind. Tut er dies nicht, so ist seine Aussage unvollständig und damit falsch! Es liegt also hier kein unechtes Unterlassungsdelikt vor, da der Täter ja handelt (nur eben unvollständig).
Spontane Äußerungen eines Zeugen, die für die Entscheidung erheblich sein können, aber außerhalb des Vernehmungsgegenstandes liegen, werden von der Wahrheitspflicht nur erfasst, wenn sie nach einer nachträglichen Erweiterung des Beweisthemas aufrechterhalten werden.
3. Vollendung
Vollendet ist die Tat mit dem Abschluss der Aussage – also sobald der Aussagende nichts mehr zu bekunden und kein Verfahrensbeteiligter mehr Fragen an ihn stellen will und sich gewöhnlich die Frage der Vereidigung stellt.
Bis dahin kann die Aussage korrigiert werden, danach gilt § 158 StGB.
Wird die Aussage rechtzeitig korrigiert, so bleibt der Täter straflos, da der Versuch des § 153 StGB nicht strafbar ist (kein Verbrechen im Sinne des § 12 StGB, anders als der Qualifikationstatbestand des Meineids nach § 154 StGB. Hier ergibt sich die Versuchsstrafbarkeit aus §§ 12 I, 23 I StGB).
4. Auswirkungen von Verfahrensfehlern auf die Strafbarkeit
Fraglich ist, ob eine Aussage strafbar sein kann, obwohl sie aufgrund eines Verfahrensverstoßes (z. B. Verletzung des Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechts) prozessual unverwertbar ist?
Problem
Auswirkungen von Verfahrensfehlern auf die Strafbarkeit
Nach der Tatbestandslösung ist bereits der Tatbestand der §§ 153 ff. StGB nicht erfüllt, wenn die Aussage wegen eines Verfahrensfehlers unverwertbar ist. Das Rechtsgut der staatlichen Rechtspflege sei in diesen Fällen schon gar nicht gefährdet, da die Aussage bei der Entscheidungsfindung unberücksichtigt bleiben müsse.
Die Strafzumessungslösung (h.M.) bejaht die Strafbarkeit auch bei Verfahrensverstößen. Auch unverwertbare Aussagen können das Vertrauen in die Rechtspflege untergraben, insbesondere wenn sie unentdeckt bleiben. Außerdem berechtigen die einschlägigen Verfahrensnormen zwar zum Schweigen, nicht aber zur Lüge. Verfahrensverstöße könnten aber im Einzelfall zur Annahme eines minder schweren Falls (§ 154 II StGB) oder zu einer Strafmilderung führen.
Stellungnahme: Die herrschende Meinung überzeugt. Die formale Unverwertbarkeit schützt nicht vor einer Gefährdung der Rechtspflege im materiellen Sinne. Zudem würde die Tatbestandslösung eine ungewollte Strafbarkeitslücke schaffen, da nicht jede unzulässige Befragung rechtzeitig erkannt oder prozessual sanktioniert wird.
5. Subjektiver Tatbestand
Täter muss zumindest dolus eventualis bezüglich der Unwahrheit/ Unvollständigkeit der Aussage, auf die sich die Wahrheitspflicht erstreckt, sowie in Bezug auf die Zuständigkeit der handelnden Stelle haben.
Umstritten ist, wie der Fall zu behandeln ist, wenn ein Zeuge z. B. nicht weiß, dass sich die Wahrheitspflicht auch auf die Angaben zur Person bezieht.
Beispiel
Die 46 jährige A ist überaus eitel und muss im Rahmen eines Prozesses gegen B aussagen, der den Millionär M betrogen haben soll. A kennt den M schon länger und hat bereits ein Auge auf ihn geworfen. Sie will in jedem Fall verhindern, dass M ihr wahres Alter hört, sie hatte sich stets als 36 vorgestellt. Daher gibt sie im Rahmen der Angaben zur Person an, sie sei 36. Hat sich A wegen der Falschaussage nach § 153 StGB strafbar gemacht?
Problem
Rechtsfolgen bei falschen Angaben zur Person
Nach einer Ansicht liegt ein tatbestandsausschließender Irrtum gemäß § 16 I StGB vor. Der Zeuge erkennt nicht, dass seine konkrete Aussage (z. B. über das Alter) überhaupt vom Schutzbereich der Wahrheitspflicht erfasst ist. Es fehlt also am Vorsatz in Bezug auf die Tatumstände. → Folge: Keine Strafbarkeit nach § 153 StGB. In Betracht kommt ggf. § 161 StGB (Falsche Angaben zur Person).
Die herrschende Meinung behandelt den Irrtum als Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB. Der Zeuge weiß, dass er falsch aussagt, verkennt aber den rechtlichen Umfang seiner Wahrheitspflicht. Da sich der Irrtum also auf das Verbot bezieht, ist § 17 einschlägig. → Folge: Strafbarkeit bleibt bestehen, sofern der Irrtum vermeidbar war – was regelmäßig der Fall ist, sofern eine ordnungsgemäße Belehrung vorliegt.
Stellungnahme: Die herrschende Meinung überzeugt. Es handelt sich nicht um einen Irrtum über Tatsachen, sondern über die rechtliche Einordnung der Aussagepflicht. Gerade weil Zeugenaussagen regelmäßig eingeleitet und begleitet werden durch gerichtliche Belehrung, ist ein Irrtum über deren Reichweite in der Regel vermeidbar – sodass § 17 StGB mit ggf. milderer Sanktion Anwendung findet, nicht aber § 16 StGB mit Straffreiheit.
V. Rechtswidrigkeit und Schuld
Im Rahmen der Rechtswidrigkeit und Schuld sind neben den möglicherweise vorliegenden oben genannten Irrtümern keine Besonderheiten zu beachten.
VI. Strafzumessung
Im Rahmen der §§ 153 bis 156 StGB sind die Vorschriften zum Aussagenotstand sowie zur tätigen Reue zu beachten.