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7. Abschnitt: Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

§ 142 StGB (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort)

Teilgebiet

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Thema

7. Abschnitt: Straftaten gegen die öffentliche Ordnung

Tags

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
Unfall
Feststellung der Personalien
Wartepflicht
Nachholpflicht
Echte Unterlassungsdelikte
Tätige Reue
Art. 103 GG
§ 142 StGB
§ 34 StVO
Gliederung
  • I. Allgemeines

  • II. Unfallflucht, Absatz 1

    • 1. Prüfungsschema

    • 2. Tatsituation

      • a) Unfall

        • aa) Problem: Vorsätzliches Herbeiführen des Schadens

        • bb) Problem: Typische Verkehrsgefahr ohne Beteiligung von Fahrzeugen

      • b) Im Straßenverkehr

      • c) Unfallbeteiligter, Absatz 5

    • 3. Tathandlung

      • a) Sichentfernen vom Unfallort

      • b) Verletzung einer gesetzlichen Pflicht

        • aa) Bei Anwesenheit einer feststellungsbereiten Person: Feststellungs- und Vorstellungspflicht, § 142 I Nr. 1 StGB

          • aaa) Passive Feststellungspflicht

          • bbb) Aktive Vorstellungspflicht

          • ccc) Problem: Täuschung über die Personalien

        • bb) Nichtanwesenheit einer feststellungsbereiten Person: Angemessene Wartepflicht, § 142 I Nr. 2 StGB

    • 4. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz

    • 5. Tätige Reue, Absatz 4

  • III. Nichtnachholung der Feststellungen, Absatz 2

    • 1. Prüfungsschema

    • 2. Tatsituation

      • a) Unfallbeteiligter eines Unfalls im Straßenverkehr

      • b) Strafloses Verlassen des Unfallorts

        • aa) Wegen Einhaltung der Wartepflicht, § 142 II Nr. 1 StGB

        • bb) Wegen Rechtfertigung oder Entschuldigung, § 142 II Nr. 2 StGB

    • 3. Tathandlung

      • a) Unterlassen

      • b) Unverzügliche Nachholung

      • c) Ermöglichung der Feststellungen nach § 142 III StGB

    • 4. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz

    • 5. Tätige Reue, Absatz 4

Dieser Artikel behandelt das unerlaubte Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) – umgangssprachlich oft als „Fahrerflucht“ bezeichnet. Die Norm ist examensrelevant, da sie in nahezu allen Bundesländern zum Pflichtstoff gehört und häufig Gegenstand von verkehrsstrafrechtlichen Klausuren ist. Gerade weil das unerlaubte Entfernen vom Unfallort nicht in die §§ 315 ff. StGB eingebettet ist, sondern im 7. Abschnitt des StGB steht, wird sie von Klausurbearbeitenden oft übersehen.

I. Allgemeines

Systematisch ist § 142 StGB den Straftaten gegen die öffentliche Ordnung (§§ 123–145d StGB) zugeordnet. Geschütztes Rechtsgut ist jedoch primär das Vermögensinteresse der Unfallbeteiligten, insbesondere deren Möglichkeit, zivilrechtliche Schadensersatzansprüche (z. B. aus § 7 StVG, § 823 BGB) durchzusetzen und nicht irgendein staatliches Interesse.

Dogmatisch weist § 142 StGB mehrere Besonderheiten auf:

  • § 142 I Nr. 1 und Nr. 2 StGB werden weitgehend als Begehungsdelikte eingeordnet (str.), da jeweils ein aktives Sichentfernen im Mittelpunkt steht.

  • § 142 II StGB ist dagegen ein echtes Unterlassungsdelikt, weil der Täter die gebotenen Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht (§ 142 III StGB).

  • Zudem handelt es sich um ein Pflichtverletzungsdelikt, da die Strafbarkeit jeweils an die Verletzung gesetzlich normierter Verhaltenspflichten (z. B. Feststellungs- oder Wartepflicht) anknüpft.

  • Weiterhin handelt es sich bei § 142 I und II StGB um sogenannte Sonderdelikte, da der Täterkreis beschränkt ist. Täter kann nur sein, wer Unfallbeteiligter im Sinne des § 142 III StGB ist.

II. Unfallflucht, Absatz 1

Zunächst muss der § 142 I StGB ins Auge gefasst werden, der zwei unterschiedliche Tatvarianten aufzählt.

1. Prüfungsschema

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2. Tatsituation

Zunächst muss die Tatsituation geprüft werden. Dabei muss der Täter Unfallbeteiligter eines Unfalls im Straßenverkehr sein.

a) Unfall

Definition

Unfall meint ein plötzliches Ereignis im öffentlichen Verkehr, das mit den typischen Gefahren des Straßenverkehrs in einem ursächlichen Zusammenhang steht und einen nicht ganz unerheblichen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat.

Unerheblich ist der Sachschaden nur, wenn der Schaden so gering ist, dass in der Regel keine Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden (Faustregel: Schäden bis 25,00 €).

aa) Problem: Vorsätzliches Herbeiführen des Schadens

Umstritten ist die Frage, ob auch ein vorsätzlicher Aggressionsakt mittels eines Fahrzeugs als Unfall gewertet werden kann.

Definition

A wird auf der Autobahn vom Porschefahrer P mit Lichthupe zum Ausweichen gedrängt. A ist darüber derart verärgert, dass er beschließt, dem P eine Lektion zu erteilen. Im Überholvorgang rammt der A den P am Heck, wodurch dieser ins Schleudern gerät und in die Leitplanke prallt. Der Porsche erleidet einen erheblichen Sachschaden von 20.000 €. A fährt unbeirrt weiter. Strafbarkeit nach § 142 I StGB?

Problem

Kann ein vorsätzlicher Aggressionsakt mit einem Fahrzeug als Unfall gewertet werden?

  • Eine Mindermeinung sieht einen vorsätzlichen Aggressionsakt nicht als Unfall sondern als Anschlag. Wegen des nemo tenetur-Grundsatzes (“Nemo tenetur se ipsum accusare” = **“niemand ist verpflichtet, sich selbst zu beschuldigen”), darf dem vorsätzlichen Täter nicht zugemutet werden, am Tatort zu verbleiben und sich selbst zu belasten.

  • Die herrschende Meinung hingegen will differenzieren:

    • Ein Unfall liege dann nicht vor, wenn das Fahrzeug lediglich als Werkzeug benutzt werde, um außerhalb des öffentlichen Verkehrs eine Schädigung herbeizuführen (Bsp.: A will sich am P rächen, folgt ihm bis zu seiner Einfahrt und fährt dem in der Einfahrt abgestellten Porsche von hinten auf und flüchtet sodann).

    • Ein Unfall liegt dann vor, wenn das Fahrzeug unabhängig von der vorsätzlichen Schädigung auch seinem Zweck entsprechend als Fortbewegungsmittel im öffentlichen Verkehr genutzt wird und der Schaden im öffentlichen Verkehr eintritt.

  • Stellungnahme: Die herrschende Meinung überzeugt. Zum einen ist nicht ersichtlich, wieso der Vorsatztäter im Vergleich zu Fahrlässigkeitstätern privilegiert werden soll. Zum anderen widerspricht die Mindermeinung dem Begriff des Unglücksfalls des § 315b III i.V.m. § 315 III StGB. Dieser soll gerade auch absichtlich herbeigeführt werden können.

Für das obige Beispiel bedeutet das:

  • Nach der Mindermeinung ist die Strafbarkeit des A nach § 142 I StGB ausgeschlossen, weil ihm nicht zugemutet werden kann, dass er als Vorsatztäter am Tatort verbleibt, um sich selbst zu belasten.

  • Nach der herrschenden Meinung ist A nach § 142 I StGB strafbar, da er sein Fahrzeug zweckmäßig als Fortbewegungsmittel im öffentlichen Verkehr nutzte und auch die Schädigung im öffentlichen Verkehr erfolgte.

A ist gemäß § 142 I StGB strafbar.

Beispiel

Der nemo tenetur-Grundsatz wird auch im Rahmen der Nichtanzeige geplanter Straftaten nach § 138 StGB relevant, bei der Frage, ob Beteiligte der Katalogtat zur Anzeige verpflichtet sind.

bb) Problem: Typische Verkehrsgefahr ohne Beteiligung von Fahrzeugen

Ebenfalls umstritten ist die Frage, ob typische Verkehrsgefahren des Straßenverkehrs verwirklicht werden, wenn kein Fahrzeug am Unfall beteiligt ist.

Beispiel

Als der Fußgänger F den Zebrastreifen überqueren will, wird er vom Inlineskater K übersehen. F erleidet eine schwere Gehirnerschütterung und einen gebrochenen Fuß. K hingegen bleibt wegen seiner Schutzausrüstung unverletzt und skatet davon. Strafbarkeit des A nach § 142 StGB?

Als der Fußgänger F den Zebrastreifen überqueren will, wird er vom Inlineskater K übersehen. F erleidet eine schwere Gehirnerschütterung und einen gebrochenen Fuß. K hingegen bleibt wegen seiner Schutzausrüstung unverletzt und skatet davon. Strafbarkeit des A nach § 142 StGB?

Problem

Verwirklichen sich typische Verkehrsgefahren auch dann, wenn kein Fahrzeug beim Unfall beteiligt ist?

  • Eine Mindermeinung sieht die typische Verkehrsgefahr nicht verwirklicht, wenn kein Fahrzeug beteiligt ist. Aus dem Wortlaut des § 142 I Nr. 1 StGB “(…) seines Fahrzeugs (…)” lässt sich klar erkennen, dass ein Fahrzeug beteiligt sein muss.

  • Die herrschende Meinung hingegen will typische Verkehrsgefahren dann verwirklicht sehen, wenn die Schädigung auf einer verkehrsüblichen Nutzung des öffentlichen Verkehrsraums beruht. Dazu zählen auch Vorkommnisse des ruhenden Verkehrs. Es genügt für die Verwirklichung der typischen Verkehrsgefahr also, wenn zwei Fußgänger, die aufeinanderprallen, den öffentlichen Verkehrsraum verkehrsübliche für ihre Fortbewegung nutzen.

  • Stellungnahme: Die herrschende Meinung überzeugt. Systematisch ist der Begriff des „Unfalls im Straßenverkehr“ nicht auf Fahrzeugbeteiligung beschränkt, sondern erfasst alle typischen Gefahrenlagen im öffentlichen Verkehrsraum. Eine solche typisierende Auslegung entspricht auch dem Telos des § 142 StGB, der die Sicherung zivilrechtlicher Ersatzansprüche bezweckt. Dieser Schutzzweck besteht unabhängig davon, ob der Unfall durch ein Fahrzeug oder durch andere verkehrsübliche Nutzungen verursacht wurde

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b) Im Straßenverkehr

Beispiel

Straßenverkehr meint den Verkehr auf Wegen und Plätzen, die allgemein zugänglich sind und dadurch faktisch durch jedermann bzw. einem zufälligen Personenkreis genutzt werden können.

Beispiel

Öffentlicher Straßenverkehr:

  • Landstraßen,

  • Autobahnen,

  • Einkaufsmeilen,

  • Bürgerparks,

  • Privatwege ohne Zugangshindernisse,

  • Parkplätze,

  • Parkgaragen.

Kein öffentlicher Straßenverkehr:

  • Betriebsgelände mit Zugangsbeschränkungen,

  • Einfahrten von Privathäusern,

  • Grundstücke mit Zugangshindernis.

c) Unfallbeteiligter, Absatz 5

Weiterhin ist der Täterkreis beschränkt. Der Täter muss Unfallbeteiligter sein. Nach der Legaldefinition des Absatzes 5 ist Unfallbeteiligter jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann.

Merke

Einschränkend muss im Rahmen dieser Definition jedoch eine Anwesenheit am Unfallort gefordert werden, sodass etwa ein Mechaniker, der seinen Kunden mit fehlerhaft eingebauten Bremsen auf eine Probefahrt schickt, kein Unfallbeteiligter im Sinne des § 142 I sein kann.

3. Tathandlung

Die Tathandlung des Absatzes 1 fordert ein Sichentfernen und damit einhergehend die Verletzung der in den Nr. 1 und 2 formulierten gesetzlichen Pflichten.

a) Sichentfernen vom Unfallort

Definition

Sichentfernen meint das körperliche Verlassen der räumlichen Grenzen des Unfallortes.

Definition

Unfallort meint nicht nur den unmittelbaren Bereich, in dem sich der Unfall ereignete, sondern auch jeder nähere Umkreis, der aufgesucht wurde, um Gefahren für den Verkehr zu vermeiden.

b) Verletzung einer gesetzlichen Pflicht

§ 142 I StGB stellt zwei unterschiedliche gesetzliche Pflichten auf, die je nach Situation verletzt werden müssen. Entscheidend ist, ob sich am Unfallort eine feststellungsbereite Person befindet.

Nur wenn diese Pflichten verletzt werden, kommt eine Strafbarkeit aus § 142 I StGB in Betracht.

aa) Bei Anwesenheit einer feststellungsbereiten Person: Feststellungs- und Vorstellungspflicht, § 142 I Nr. 1 StGB

Insofern sich eine feststellungsbereite Person am Unfallort befindet, hat der Täter:

  • eine passive Feststellungspflicht und

  • eine aktive Vorstellungspflicht.

aaa) Passive Feststellungspflicht

Die passive Feststellungspflicht meint schlicht die Anwesenheit des Unfallbeteiligten. Er muss durch seine Anwesenheit den anderen Unfallbeteiligten die Möglichkeit eröffnen, die für eine Sicherung etwaiger Schadensersatzansprüche notwendigen Feststellungen zur Person, seinem Fahrzeug und der Art der Beteiligung zu treffen.

Merke

Der Unfallbeteiligte ist nicht zu einer aktiven Mitwirkung verpflichtet. Er muss also nicht dafür sorgen, dass die Feststellungen auch tatsächlich getroffen werden. Vielmehr muss er nur die Möglichkeit durch seine Anwesenheit eröffnen. Daher kann der Beteiligte auch schweigen und gar keine Angaben machen und etwa auf das Eintreffen der Polizei warten.

bbb) Aktive Vorstellungspflicht

Die aktive Vorstellungspflicht meint die Mitwirkungspflicht an der Aufklärung des Unfalls. Der Unfallbeteiligte hat die Pflicht, sich bei den anderen Unfallbeteiligten vorzustellen, jedoch nur derart, dass er angibt, am Unfall beteiligt zu sein. Dabei muss er nicht näher auf die Art der Beteiligung oder den Unfallhergang eingehen.

Vernetztes Lernen

Die stark eingeschränkte Vorstellungspflicht ergibt sich ebenfalls aus dem nemo tenetur-Grundsatz. Der Unfallbeteiligte ist nicht verpflichtet, sich durch Angaben gegenüber anderen Beteiligten selbst zu belasten. Es genügt, dass er durch sein Auftreten zu erkennen gibt, dass er in irgendeiner Weise am Unfall beteiligt war – weitergehende Erklärungen sind nicht erforderlich.

Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage, ob ein vorsätzlicher Aggressionsakt mit einem Fahrzeug als Unfall im Sinne des § 142 StGB gewertet werden kann oder ob der nemo tenetur-Grundsatz dem entgegensteht. Da die Mitwirkungspflicht jedoch auf ein bloßes Sich-zu-Erkennen-Geben reduziert ist, wird auch der vorsätzlich handelnde Unfallbeteiligte nicht zur Selbstbelastung gezwungen. § 142 I Nr. 1 StGB ist daher verfassungsgemäß und auch auf solche Fälle anwendbar.

ccc) Problem: Täuschung über die Personalien

Im Rahmen von § 142 I Nr. 1 StGB ist umstritten, ob ein strafbares Sichentfernen vorliegt, wenn der Unfallbeteiligte durch Täuschung über seine Personalien das Einverständnis der anderen zum Verlassen des Unfallorts erlangt.

Problem

Ist die Täuschung über Personalien als Pflichtverstoß im Rahmen des § 142 I Nr. 1 StGB anzusehen, sodass ein strafbares Sichentfernen vom Unfallort gegeben ist?

  • Eine Mindermeinung verneint dies. Der Unfallbeteiligte habe seine Pflichten erfüllt, indem er am Unfallort anwesend blieb, die Möglichkeit zur Feststellung eröffnete und seine Beteiligung am Unfall erkennen ließ. Die inhaltliche Richtigkeit der gemachten Angaben sei nicht Teil seiner Verantwortung.

  • Die herrschende Meinung sieht in der Täuschung über die Identität hingegen einen klaren Pflichtverstoß. Wer durch aktives Tun die Feststellung verhindert, verletzt die passive Feststellungspflicht. Die Täuschung über die Personalien steht dem Zweck der Norm entgegen.

  • Stellungnahme: Die herrschende Meinung überzeugt. Die auf den nemo tenetur-Grundsatz gestützte Einschränkung der Mitwirkungspflicht darf nicht so weit reichen, dass dem Täter ein Recht zur bewussten Täuschung über seine Identität eingeräumt wird.

bb) Nichtanwesenheit einer feststellungsbereiten Person: Angemessene Wartepflicht, § 142 I Nr. 2 StGB

Insofern keine feststellungsbereite Person am Unfallort anwesend ist, normiert § 142 I Nr. 2 StGB eine Wartepflicht. Konkret muss der Unfallbeteiligte “(…)eine nach den Umständen angemessene Zeit(…)” warten.

Definition

Die Dauer der Wartezeit bestimmt sich nach dem Grad des Feststellungsinteresses des anderen Unfallbeteiligten einerseits und der die Zumutbarkeit begrenzenden Tatumstände andererseits.

Kriterien sind insbesondere:

  • Der Umfang des Schadens

  • Tageszeit

  • Witterungsverhältnisse

Klausurtipp

Hier ist Argumentation gefragt. Die Wartezeit ist von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig. Typischerweise reicht die Wartezeit von 10 Minuten bei kleinen Schäden und 60 Minuten bei großen Sach- oder Personenschäden.

Beachtet werden muss, dass im Einzelfall zudem eine Verkürzung der Wartezeit durch das eigene Verhalten des Unfallbeteiligten möglich ist. Typisch hierfür sind die sogenannten Visitenkartenfälle.

Beispiel

Der geschäftige Geschäftsmann G streift nachts beim Ausparken einen anderen PKW. Dabei entsteht ein kleiner Kratzer. G hat es jedoch sehr eilig, da er einen wichtigen Business-Flug erreichen muss. Kurzerhand nimmt er eine seiner Visitenkarten, schreibt mit einem Kuli auf der Rückseite, dass er Unfallbeteiligter ist und jederzeit erreicht werden könne. Sodann klemmt er die Karte hinter den Scheibenwischer und macht sich auf den Weg. Strafbarkeit nach § 142 I Nr. 2 StGB?

Im obigen Beispiel ist G wohl nicht nach § 142 I Nr. 2 StGB strafbar, weil sich die Wartezeit auf Aufnahme der erforderlichen Daten verkürzt. Das ist hier jedoch nur möglich, weil

  • es sich um einen sehr geringen Schaden handelt,

  • keine feststellungsbereiten Personen anwesend waren und

  • eine einfache Sach- und Rechtslage vorliegt.

Merke

Allerdings kann G noch wegen § 142 II Nr. 1 StGB strafbar sein.

4. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz

Im Rahmen des subjektiven Tatbestands ist zu prüfen, ob der Täter hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale mindestens mit dolus eventualis gehandelt hat.

5. Tätige Reue, Absatz 4

Absatz 4 normiert die Möglichkeit, die Strafe zu mildern oder gar von ihr abzusehen. Allerdings gilt diese Möglichkeit nur unter bestimmten Voraussetzungen:

  1. Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs
    Der Unfall darf sich nicht Begegnungsverkehr ereignet haben. Vielmehr sind nur sogenannte Parkunfälle erfasst, bei denen weder der schädigende Unfallbeteiligte noch der geschädigte Unfallbeteiligte am fließenden Verkehr teilnehmen.

  2. Nicht bedeutender Sachschaden
    Die Grenze liegt aktuell bei ca. 1300,00 €.

  3. Nachträgliche Ermöglichung der Feststellung
    Der Täter muss eine nachträgliche Feststellung nach den Anforderungen des Absatzes 3 ermöglichen.

  4. Innerhalb von 24 Stunden
    Der Täter muss die nachträgliche Feststellung innerhalb von 24 Stunden ermöglichen. Dabei ist eine objektive Betrachtung ausschlaggebend, also innerhalb von 24 Stunden nach tatsächlichem Ereignen des Unfalls.

  5. Freiwillig
    Der Begriff der Freiwilligkeit ist bedeutungsgleich mit dem Freiwilligkeitsbegriff im Rahmen des § 24 StGB (Rücktritt). Es muss sich also um autonome Motive handeln.

III. Nichtnachholung der Feststellungen, Absatz 2

§ 142 II StGB stellt ein echtes Unterlassungsdelikt dar. Strafbar ist, wer es unterlässt, die erforderlichen Feststellungen nachträglich zu ermöglichen, obwohl er sich zuvor straflos vom Unfallort entfernt hat, etwa weil keine feststellungsbereite Person anwesend war und die Wartezeit eingehalten wurde oder gerechtfertigt oder entschuldigt handelte.

1. Prüfungsschema

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2. Tatsituation

a) Unfallbeteiligter eines Unfalls im Straßenverkehr

Hier gelten die gleichen Ausführungen wie im Rahmen des Absatzes 1.

b) Strafloses Verlassen des Unfallorts

Der Tatbestand stellt weitere Anforderungen an die Tatsituation.

aa) Wegen Einhaltung der Wartepflicht, § 142 II Nr. 1 StGB

Der Unfallbeteiligte muss in Anknüpfung an die Einhaltung der gesetzlichen Wartepflicht in § 142 I Nr. 2 StGB den Unfallort straflos verlassen haben. Er darf also nicht wegen § 142 I StGB strafbar sein.

bb) Wegen Rechtfertigung oder Entschuldigung, § 142 II Nr. 2 StGB

Ebenso ist es möglich, dass sich der Unfallbeteiligte berechtigt oder entschuldigt von Unfallort entfernt.

Im Rahmen des berechtigten Sichentfernens kommt insbesondere der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB in Betracht.

Merke

Die Mutter A will ihren schwer erkrankten Sohn so schnell wie möglich ins Krankenhaus transportieren. Beim Ausparken aus der Tiefgarage streifte sie ein anderes Auto.

Im Rahmen des entschuldigten Sichentfernens sind hauptsächlich der entschuldigende Notstand oder die vorübergehende Schuldunfähigkeit durch eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung (sogenannte Unfallschocks) von Bedeutung.

3. Tathandlung

Die Tathandlung besteht in dem Unterlassen der unverzüglichen Nachholung der Ermöglichung der Feststellungen.

a) Unterlassen

Unterlassen meint in diesem Fall die fehlende Ermöglichung der Feststellungen, also die Nichtvornahme der gebotenen Handlung.

b) Unverzügliche Nachholung

Selbst wenn der Unfallbeteiligte die Feststellung nachträglich ermöglicht, liegt dennoch ein Unterlassen vor, wenn die Nachholung nicht unverzüglich erfolgt. Denn dann hat der Unfallbeteiligte es unterlassen, die Ermöglichung der Feststellungen unverzüglich nachzuholen.

Definition

Unverzüglich meint das Handeln ohne jedes vorwerfbare Zögern.

Gemeint ist damit jedoch nicht das sofortige Handeln im Sinne einer fixen Zeitspanne, sondern vielmehr, dass der Unfallbeteiligte alsbald nach Verlassen des Unfallorts seiner Pflicht nachkommt, soweit er dazu in der Lage ist.

Definition

Für das bereits angebrachte Beispiel der Mutter, die ihren schwer kranken Sohn ins Krankenhaus fährt, wäre die Unverzüglichkeit eingehalten, wenn die Mutter ihrer Mitteilungspflicht nachkommt, sobald der Sohn adäquat ärztlich versorgt wird.

c) Ermöglichung der Feststellungen nach § 142 III StGB

§ 142 III StGB normiert einerseits die Mindestanforderungen an das Verhalten des Unfallbeteiligten, um seiner Mitteilungspflicht Genüge zu tun. Er hat die Wahl, entweder einem feststellungsberechtigten Beteiligten oder einer nahegelegenen Polizeidienststelle mitzuteilen, dass er am Unfall beteiligt war.

Andererseits bestimmt § 142 III StGB auch den Umfang der zu ermöglichenden Feststellungen. Der Unfallbeteiligte muss dabei Angaben machen, die es der Polizei oder dem Geschädigten ermöglichen, seie Identität, das Fahrzeug und die Art der Beteiligung zuverlässig festzustellen. Eine bloße Meldung ohne Bezug zum konkreten Unfallgeschehen genügt nicht.

4. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz

Im Rahmen des subjektiven Tatbestands ist zu prüfen, ob der Täter hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale mindestens mit dolus eventualis gehandelt hat.

5. Tätige Reue, Absatz 4

Hier gelten die gleichen Ausführungen wie im Rahmen des Absatzes 1.

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