Dieser Artikel behandelt den Verstrickungsbruch beziehungsweise Siegelbruch nach § 136 StGB. Der Verstrickungs- beziehungsweise Siegelbruch gemäß § 136 StGB ist im Examen vergleichsweise von geringerer Relevanz. Allerdings wird dieser Straftatbestand allzu häufig übersehen, wenn er dann doch einmal Einzug in die Klausur findet. Darüber hinaus bietet sich der § 136 StGB für Examensklausuren deshalb an, weil gleichzeitig Grundzüge der ZPO (Pfändung, Arrest), sowie Grundzüge des allgemeinen Verwaltungsrechts (Rechtmäßigkeit der Diensthandlung) abgefragt werden können. Mit den Grundlagen sollte man sich daher vertraut machen.
Aufgrund einiger Parallelen wird empfohlen, sich zunächst den Artikel zum Verwahrungsbruch nach § 133 StGB sowie zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB anzusehen.
I. Allgemeines
Systematisch steht § 136 StGB im 7. Abschnitt des StGB, Straftaten gegen die öffentliche Ordnung.
Die Norm enthält zwei Tatbestände. Der Verstrickungsbruch nach Abs. 1 unterscheidet sich von dem Siegelbruch nach Abs. 2 dadurch, dass bei Abs. 1 ein öffentlich-rechtliches Gewaltverhältnis, bei Abs. 2 das Siegel als Zeichen der äußeren Sachherrschaft geschützt ist. Somit weisen die beiden Tatbestände unterschiedliche geschützte Rechtsgüter auf:
Während Absatz 1 die staatliche Herrschaftsgewalt über eine Sache schützt (ähnlich dem Verwahrungsbruch nach § 133 StGB),
schützt Absatz 2 die durch äußeres Zeichen manifestierte staatliche Autorität.
Beide Tatbestände sind als Erfolgsdelikte zu qualifizieren.
Merke
Grundsätzlich gilt: Bei Erfolgsdelikten ist der objektive Tatbestand regelmäßig in vier Schritten zu prüfen – Tathandlung, Erfolg, Kausalität und objektive Zurechnung.
Vielleicht ist dir aber schon aufgefallen: Bei bestimmten Erfolgsdelikten wie
Sachbeschädigung (§ 303 StGB)
Verstrickungs- und Siegelbruch (§ 136 StGB)
wird die Kausalität und objektive Zurechnung oft nicht gesondert behandelt. Warum?
Weil bei diesen Tatbeständen Tathandlungen und Taterfolg deckungsgleich sind.
Das heißt: Die Handlung selbst ist bereits der tatbestandliche Erfolg. Eine gesonderte Prüfung der Kausalität oder Zurechnung ist deshalb entbehrlich – es sei denn, der Fall bietet besondere Anhaltspunkte (z. B. ein atypischer Kausalverlauf).
Beispiel: Zerstören i.S.d. § 303 I StGB
Der Täter muss eine Sache "zerstören". Das bedeutet: Die vollständige Aufhebung der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit oder die völlige Vernichtung der Sachsubstanz durch eine vom Täter ausgehende Einwirkung.
Wenn T eine wertvolle Vase auf den Boden wirft, sodass sie in Scherben zerbricht, ist damit die Handlung (Werfen) und der Erfolg (Zerstörung) untrennbar verbunden. Eine gesonderte Kausalitätsprüfung erübrigt sich.
Gegenbeispiel: Gesundheitsschädigung (§ 223 I StGB)
Der Täter muss einen pathologischen (d. h. krankhaften) Zustand hervorrufen oder verschlimmern.
T schlägt O ins Gesicht. Der Erfolg – eine Gehirnerschütterung – tritt aber erst Stunden später ein.
Hier sind Kausalität und objektive Zurechnung gesondert zu prüfen, da Erfolg und Handlung nicht notwendig deckungsgleich sind.
II. Prüfung: Objektiver Tatbestand Verstrickungsbruch, Absatz 1
Zunächst wird der objektive Tatbestand des Absatzes 1 beleuchtet, danach der des Absatzes 2. Der subjektive Tatbestand, die objektive Bedingung der Strafbarkeit sowie Rechtswidrigkeit und Schuld (Irrtumsregelung) weisen keine Unterschiede auf.
1. Prüfungsschema
2. Tatobjekt
Zunächst muss geprüft werden, ob es sich um eine Sache handelt, die verstrickt ist.
a) Sache
Definition
Sache ist jeder körperliche Gegenstand (§ 90 BGB) sowie Tiere, die wie Sachen behandelt werden (§ 90a BGB), wobei weder Beweglichkeit noch die Eigentumsverhältnisse von Relevanz sind.
Auch herrenlose oder Immobilien können daher eine Sache im Sinne des § 136 I StGB sein.
b) Verstrickung
Zudem muss die Sache verstrickt sein.
Definition
Verstrickung meint die Pfändung oder sonstige dienstliche Beschlagnahme der Sache.
aa) Dienstliche Beschlagnahme
Der Begriff der dienstlichen Beschlagnahme ist weiter als der Begriff der dienstlichen Verwahrung oder Pfändung.
Definition
Eine dienstliche Beschlagnahme meint dabei jede zwangsweise Bereitstellung der Sache zur ausschließlichen Verfügung einer Behörde zum Zwecke der Sicherung privater oder öffentlicher Belange.
Vernetztes Lernen
Anders als beim Verwahrungsbruch nach § 133 StGB ist kein tatsächliches Herrschaftsverhältnis in Form des Verwahrungsverhältnis gefordert, vielmehr genügt es, dass ein rechtliches Gewaltverhältnis begründet wurde.
So genügt für die Verstrickung, etwa im Falle der Beschlagnahme eines Grundstücks zum Zwecke der Zwangsversteigerung (§ 20 ZVG), die Zustellung des Gerichtsbeschlusses, ohne dass eine tatsächliche Besitzergreifung der Behörde erfolgen müsste.
bb) Pfändung
Definition
Pfändung meint die zwangsweise Sicherstellung zur Sicherung oder Verwirklichung eines vermögensrechtlichen Anspruchs.
Eine Pfändung geschieht durch Inbesitznahme der Sache, gemäß § 808 I, 809 ZPO. Insofern es sich um Geld, Kostbarkeiten oder Wertpapiere handelt, nimmt der Gerichtsvollzieher diese in unmittelbaren Besitz.
Insofern es sich um andere Gegenstände handelt, versieht der Gerichtsvollzieher die Sache mit einem Siegel, wobei die Sache jedoch beim Schuldner belassen wird. Auch in diesem Fall liegt eine Pfändung in Form einer Sicherstellung vor; der Schuldner hat insofern unmittelbaren Fremdbesitz, der Staat mittelbaren Fremdbesitz.
Beispiel
A ist überschuldet und bekommt Besuch vom Gerichtsvollzieher. Dieser stellt einen teuren Gamer-PC sicher, indem er die gepfändete Sache mit einem Siegel kenntlich macht, § 808 I, II ZPO. Aus Frust über seine Situation schlägt der A den Gamer-PC am nächsten Tag zu klumpen.
A hat sich nach § 136 I Var. 1 StGB strafbar gemacht, weil die Sache verstrickt war, indem sie durch den Gerichtsvollzieher wirksam gepfändet wurde.
Merke
Wichtig ist, dass die Pfändung wirksam ist. Hat der Gerichtsvollzieher das Anbringen eines Siegels oder sonst einer Kenntlichmachung der Pfändung versäumt, ist die Pfändung nicht wirksam (§ 808 II 2 ZPO), sodass eine Strafbarkeit ausscheidet.
3. Tathandlung
Wie auch im Rahmen des Verwahrungsbruchs nach § 133 StGB muss die Sache durch den Täter zerstört, beschädigt oder unbrauchbar gemacht worden sein. Insofern kann auf den Artikel zu § 133 StGB verwiesen werden.
Eine differenzierte Betrachtung lohnt sich jedoch im Rahmen der 4. Tathandlungsvariante, dem Entziehen der Verstrickung.
Definition
“In anderer Weise der Verstrickung entziehen” liegt vor, wenn der Zugriff der Behörde mindestens vorübergehend erheblich erschwert wird.
Beispiel
Der A schafft den wirksam gepfändeten Gamer-PC in die Wohnung seiner Freundin.
Der A tauscht seinen teuren, wirksam gepfändeten Gamer-PC gegen einen billigen Arbeits-PC aus.
Vernetztes Lernen
Anders als beim Verwahrungsbruch nach § 133 StGB reicht eine bloße Ortsveränderung nicht aus, da der Schuldner im unmittelbaren Besitz der Sache bleibt und bis zu seiner Verwertung zur Nutzung berechtigt ist. Vielmehr ist notwendig, dass der Schuldner im unmittelbaren Besitz der Sache bleibt.
Nimmt der A den wirksam gepfändeten Gamer-PC zu einer LAN-Party bei seinem Kumpel K mit, stellt die bloße Ortsveränderung noch keinen Verstrickungsbruch dar.
III. Prüfung: Objektiver Tatbestand Siegelbruch, Absatz 2
1. Prüfungsschema
2. Tatobjekt
Tatobjekt des § 136 II StGB ist ein dienstliches Siegel, das angelegt ist, um eine Sache in Beschlag zu nehmen, dienstlich zu verschließen oder zu bezeichnen.
a) Siegel
Definition
Ein Siegel ist ein amtliches Hoheitszeichen, das sichtbar an einem Gegenstand angebracht wird, um eine behördliche Verfügung zu kennzeichnen und gegen unbefugte Einwirkung zu sichern.
Ein Siegel ist ein amtliches Hoheitszeichen, das sichtbar an einem Gegenstand angebracht wird, um eine behördliche Verfügung zu kennzeichnen und gegen unbefugte Einwirkung zu sichern.
Beispiel
Der Gerichtsvollzieher bringt zur Pfändung des Gaming-PCs des A eine aufklebbare Pfandmarke (sog. Pfandsiegel) an.
b) Dienstlich
Definition
Dienstlich ist ein Siegel, wenn es im Rahmen einer hoheitlichen Tätigkeit von einer dazu befugten Amtsperson oder Behörde angebracht wurde.
c) Angelegt
Angelegt ist ein dienstliches Siegel nur, wenn es (1.) zur Beschlagnahme, (2.) zum dienstlichen Verschließen, (3.) zum dienstlichen Bezeichnen angebracht wurde.
Definition
Beschlagnahme
Der A kratzt das vom Gerichtsvollzieher angebrachte Pfandsiegel (§ 808 II 2 ZPO) ab, um der Verwertung des Gegenstandes zu umgehen.Dienstliches Verschießen
Der Amtsarzt A bringt am Schraubverschluss des Probenröhrchens ein Siegel an, um die Blutprobe des alkoholisierten Fahrers F zu verschließen.Dienstliche Bezeichnung
Der Lebensmittelkontrolleur L bringt auf einer Fleischverpackung eine amtliche Prüfplakette mit Siegel an, um die laufende Untersuchung kenntlich zu machen.
IV. Subjektiver Tatbestand
Im Rahmen des subjektiven Tatbestands ist (bei beiden Tatbeständen) zu prüfen, ob der Täter hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale mindestens mit dolus eventualis gehandelt hat.
1. Rechtmäßigkeit der Diensthandlung
Die Strafbarkeit ist gemäß Abs. 3 ausgeschlossen, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Hier gilt der gleiche Rechtmäßigkeitsbegriff wie bei § 113 StGB. Insofern kann auf den Artikel zu § 113 StGB verwiesen werden, mit der Maßgabe, dass es sich um eine Diensthandlung und nicht zwingend um eine Vollstreckungshandlung handeln muss.
Grundsätzlich gilt aber auch hier, dass die sachliche und örtliche Zuständigkeit gegeben sein muss (insofern dies nicht bereits im Rahmen des Merkmals dienstlich untersucht wurde). Hinzu kommt, dass die wesentliche Förmlichkeit eingehalten worden sein muss und keine erheblichen Ermessens- beziehungsweise Beurteilungsfehler vorliegen.
V. Rechtswidrigkeit
Hinsichtlich der Rechtswidrigkeit ergeben sich keine Besonderheiten. Hier sind die etwaigen in Frage kommenden Rechtfertigungsgründe zu prüfen.
VI. Schuld
Im Rahmen der Schuld ist die Irrtumsregelung des § 113 IV StGB zu beachten, auf den § 136 IV StGB verweist. Insofern kann auch hier auf den Artikel zu § 113 StGB verwiesen werden.