Dieser Artikel behandelt den tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 114 StGB. § 114 StGB reiht sich in mehrere Delikte (§§ 113, 114, 115 StGB) ein, die den Schutz von Vollstreckungsbeamten oder ihnen gleich stehenden Personen und damit die Durchsetzungsfähigkeit der Staatsgewalt bezwecken.
Aufgrund vieler Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Straftatbeständen sollte zunächst der Artikel zu § 113 StGB gelesen werden.
I. Prüfungsschema
Das Prüfungsschema ist vergleichbar mit dem des § 113 StGB, allerdings gibt es einige Abweichungen im Rahmen des objektiven Tatbestandes.

II. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
Der objektive Tatbestand ähnelt dem des § 113 StGB. Es handelt sich um das gleiche Tatobjekt, doch auch die Tatsituation kann identisch sein. Nur die Tathandlung ist eine andere.
a) Tatobjekt: Amtsträger oder Soldat
Das Tatbestandsmerkmal Amtsträger oder Soldat ist identisch mit dem des § 113 I StGB, sodass hier auf den Artikel zu § 113 StGB verwiesen werden kann.
b) Tatsituation: Bei Diensthandlung
Im Unterschied zu § 113 StGB muss der zur Vollstreckung Berufene nicht explizit eine Vollstreckungshandlung vornehmen. Vielmehr genügt jede Diensthandlung den Anforderungen des § 114 StGB. Der zur Vollstreckung Berufene ist im Rahmen des § 114 StGB also deutlich stärker geschützt. So ist § 114 StGB etwa auch erfüllt, wenn gerade keine Vollstreckungshandlung vorgenommen wird, etwa bei Vornahme einer Streifenfahrt oder schlichter Überwachungs- oder Ermittlungstätigkeit.
Merke
Das folgt daraus, dass im Wortlaut des § 114 StGB der Zusatz bei Vornahme einer “solchen” Diensthandlung fehlt. Das Wort “solche” bezieht sich auf die Vollstreckungstätigkeit des Amtsträgers oder Soldaten. Damit macht der Gesetzgeber klar, dass § 114 StGB jede Diensthandlung umfasst.
Daraus folgt aber auch, dass die Diensthandlung auch eine Vollstreckungshandlung im Sinne des § 113 StGB sein kann, sodass sich die Tatbestände überschneiden, wenn es sich bei der Vornahme der Diensthandlung um eine Vollstreckungshandlung handelt.
c) Tathandlung: Tätlicher Angriff
Der entscheidende Unterschied zum Tatbestand des § 113 StGB liegt jedoch bei der tatbestandlichen Handlung des Täters. Dieser muss den Beamten tätlich angreifen, wobei aktiver Widerstand wie das Zurückziehen oder Zerren bei einer Verhaftung, das den Tatbestand des § 113 StGB erfüllt, nicht automatisch auch ein tätlicher Angriff sein kann.
Definition
Ein tätlicher Angriff ist eine in feindseliger Absicht unmittelbar auf den Körper eines Vollstreckungsbeamten abzielende Einwirkung.
Zu beachten ist:
Der tätliche Angriff muss im Gegensatz zu § 113 StGB nicht dazu geeignet sein, die Diensthandlung zu vereiteln beziehungsweise zu erschweren.
Der tätliche Angriff setzt einen Körperverletzungserfolg nicht voraus, sodass schon das Ausholen zum Schlag oder ein verfehlter Flaschenwurf als tätlicher Angriff gewertet werden kann.
Merke
Insofern der Täter durch den tätlichen Angriff zugleich Widerstand bei Vornahme einer Vollstreckungshandlung leistet, verwirklicht er zugleich auch § 113 StGB durch ein und dieselbe Handlung, sodass Tateinheit gemäß § 52 StGB vorliegt.
Beispiel
Trotz mehrmaliger Aufforderungen durch den Polizeibeamten B, sich vom Unfallort zu entfernen, leistet Gaffer G nicht Folge. Sodann greift B den G am Arm und schiebt ihn aus der unmittelbaren Unfallzone. G will sich das nicht gefallen lassen und schlägt die Hand des B gewaltsam weg.
Im obigen Beispiel wirkt der G unmittelbar und in feindseliger Absicht auf den Vollstreckungsbeamten ein. Gleichzeitig handelt es sich bei dem Schlag gegen die Hand des B um ein physisch wirkendes Zwangsmittel seitens des G gegen den B, das geeignet ist, die Vollstreckungshandlung (Durchsetzung des staatlichen Willens, Gaffer zu verhindern und die Privatsphäre der Unfallopfer zu gewährleisten) wenigstens zu erschweren. G hat sich gemäß § 114 I StGB in Tateinheit mit § 113 I StGB strafbar gemacht.
2. Subjektiver Tatbestand
§ 114 StGB ist ein Vorsatzdelikt, sodass der Täter mindestens dolus eventualis aufweisen muss.
III. Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung
Merke
Dieser Prüfungspunkt muss nur geprüft werden, wenn es sich bei der Diensthandlung um eine Vollstreckungshandlung im Sinne des § 113 I StGB handelt.
§ 114 III StGB bestimmt, dass § 113 III - IV StGB entsprechend angewendet wird, wenn es sich bei der Diensthandlung um eine Vollstreckungshandlung handelt. Es ist nur konsequent, dass der Gesetzgeber die Rechtmäßigkeit der Vollstreckungshandlung auch dann zur objektiven Bedingung der Strafbarkeit erklärt, wenn ein tätlicher Angriff vorliegt. Hier herrscht also Gleichlauf zu § 113 StGB, sodass auf den Artikel zum § 113 StGB verwiesen werden kann.
Der Grund dafür, dass die Rechtmäßigkeit nicht für alle Diensthandlungen vorausgesetzt wird, liegt darin, dass sich eine Vollstreckungshandlung konkret gegen eine Person richtet (konkreter Einzelfall) und tiefgreifender in die Rechte dieser Person eingreift, als eine schlichte andersartige Diensthandlung. Der Bürger darf also nicht bestraft werden, wenn die Vollstreckungshandlung, durch die der staatliche Wille den Willen des Bürgers überlagert, rechtswidrig ist.
IV. Rechtswidrigkeit
Hinsichtlich der Rechtswidrigkeit ergeben sich keine Besonderheiten. Hier sind die etwaigen in Frage kommenden Rechtfertigungsgründe zu prüfen.
V. Schuld
Durch den Verweis in § 114 III StGB auf § 113 IV StGB gilt die Irrtumsregelung in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung auch dann, wenn es sich um eine Vollstreckungshandlung handelt. Die Irrtumsregelung des § 113 IV StGB kommt also auch dem Täter zugute, der irrtümlich und unvermeidbar von der Rechtswidrigkeit der Vollstreckungshandlung ausgeht und sich durch einen tätlichen Angriff gegen den vermeintlich rechtswidrig handelnden Vollstreckungsbeamten zur Wehr setzt.
Hier kann ebenfalls auf den Artikel zu § 113 StGB verwiesen werden.
VI. Regelbeispiele §§ 114 II i.V.m. 113 II StGB
§ 114 II StGB bestimmt zudem, dass die Regelbeispiele des § 113 II StGB auch im Rahmen des § 114 StGB gelten. Hierdurch wird das Mindeststrafmaß einer dreimonatigen Freiheitsstrafe auf eine sechsmonatige Freiheitsstrafe erhöht.
Auch insoweit kann auf die Ausführungen im Rahmen des § 113 StGB verwiesen werden.